Bewährungsstrafe für Mühlheimer

Der Angeklagte, der vor Kurzem wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vor dem Schöffengericht in Offenbach saß, hätte sich über eine Haftstrafe ohne Bewährung nicht wundern dürfen. So muss er die 15 Monate nur im Wiederholungsfall absitzen, auch wenn es mit der Sozialprognose hapert. Das Gericht sah keinen Sinn darin, den von Cannabis abhängigen Mühlheimer wieder in das Gefängnis zu stecken.
Mühlheim – Zu Beginn gleicht Richter Manfred Beck die Personalien ab. Der 42-Jährige erläutert, vor vier Monaten seinen Arbeitsplatz verloren zu haben. Einen neuen Job habe er jedoch in Aussicht: „Ich versuche, wieder den richtigen Weg zu finden“.
Vom Pfad der Tugend wich der Mühlheimer immer mal wieder ab, stets im Kontext mit seinem Drogenproblem. Vor einem Jahr ließ er sich dreimal beim Besitz von Betäubungsmitteln erwischen.
Die Polizei behält den Mann offensichtlich im Auge. Ansonsten lässt es sich nicht erklären, warum dieser von sich aus 1,5 Gramm Marihuana aus der Tasche zog, als Beamte den Mühlheimer in der Nähe der Reitanlage an der Spessartstraße stoppte. Im Anschluss schauten die Ermittler bei ihm zu Hause nach, wo drei Cannabispflanzen wuchsen. Deren Blätter wogen 121 Gramm. Der Anteil am Rausch erzeugenden Tetrahydrocannabinols (THC) lag bei knapp zehn Gramm; 2,5 Gramm über der Grenzmenge, die nicht mehr als geringfügig gilt. Ende März 2021 fiel der Mann noch einmal durch den Besitz von elf Gramm Haschisch und fünf Gramm Amphetamin auf. Der Angeklagte und seine Freundin hatten sich lautstark gestritten, weshalb die Polizei vorbeischaute.
Der Mühlheimer zeigt einen Charakter, den der Volksmund „ehrliche Haut“ nennt. Richter Beck fragt die meisten, die wegen Drogendelikten vor Gericht stehen, ob sie noch konsumieren. Fast alle beteuern Abstinenz. Der Angeklagte erklärt, „um schlafen zu können, rauche ich Marihuana“. Seine übelste Sucht habe er jedoch überwunden, „ich nehme schon lange kein Kokain mehr“.
Durch Bewährungsverstöße und Beschaffungskriminalität saß der Mann ab 2013 mehr als anderthalb Jahre ab, „das war Glück für mich“.
Beck fragt, ob er schon einmal etwas vom Suchthilfezentrum Wildhof in Offenbach gehört habe. Der therapieerfahrene Angeklagte verneint. Er bejaht jedoch die rhetorische Frage des Vorsitzenden, ob er ein paar Beratungsstunden absolvieren wolle, Alternative wäre eine Haftstrafe.
Dabei zeichnet sich die Crux des Falles ab. Staatsanwalt Schillhahn sagt über den Angeklagten, „ein richtig Böser ist er nicht“. Der Beschuldigte, der unverstellt freundlich wirkt, müsste wegen der vielen Vorstrafen eigentlich damit rechnen, wieder länger als ein Jahr einzufahren.
Allerdings erklärt Schillhahn, dass noch offen sei, wie die angekündigte Legalisierung von Cannabis ausgestaltet werde. Vermutlich aber könne der Angeklagte in absehbarer Zeit legal Marihuana erwerben: „Was sollen wir also mit ihm machen?“
Seit er sich auf billigeres Cannabis statt auf teures Kokain verlegt habe, falle er durch Beschaffungskriminalität nicht mehr auf. Trotz aller Bedenken, meint der Ankläger: „Ich sehe keinen Sinn darin, ihn einzusperren.“
Schillhahn schlägt vor, die beantragten 15 Monate Gefängnis zur Bewährung auszusetzen. Außerdem soll der Mann von seinem Arbeitslosengeld 1 000 Euro Geldauflage an das Suchthilfezentrum Wildhof abstottern. Mit dem Punkt zeigt sich Rechtsanwalt Ulf Köper nicht einverstanden. Der Verteidiger zieht wegen 6 000 Euro Schulden seines Mandanten Arbeitsstunden vor.
Das Schöffengericht unter Manfred Beck verhängt schließlich 15 Monate, die auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt sind, sowie 80 Arbeitsstunden und drei Beratungsgespräche im Wildhof. Beck erklärt: „Ich gebe dem Staatsanwalt recht, Knast wäre keine Alternative für Sie.“ Vielleicht könne ihm der Wildhof helfen, wegen seiner Schlafprobleme legal Cannabis zu beziehen. Das Urteil ist rechtskräftig. (Stefan Mangold)