Interview: Pfarrer Johannes Schmitt-Helfferich über Corona und die Folgen

Mühlheim – „Die Vorschrift stand über der Barmherzigkeit, über der Menschenwürde“ – Johannes Schmitt-Helfferich, der katholische Pfarrer der Gemeinden von St. Markus und Maximilian Kolbe spricht über Auswirkungen der Pandemie.
Corona scheint kein Ende zu nehmen, wie sehr geht Ihnen die Pandemie auf die Nerven?
Natürlich spüre auch ich zuweilen Unwillen und Überdruss. Aber ich weiß, Viren gehören zum Leben, sie spielen in der Evolution ihre Rolle auf dem Weg von Materie zu Geist.
Beobachten Sie, dass sich Menschen veränderten?
Sie gehen unterschiedlich mit Ängsten um. Ich habe Leute beobachtet, die 50 Meter, bevor sich die Wege kreuzen, die Straßenseite wechseln und so tun, als hätten sie einen nicht gesehen. Als würde sich der Virus durch einen Blick übertragen. Dann gibt es wieder welche, denen alles egal zu sein scheint, die verantwortungslos handeln.
Wie wirkt sich die Pandemie auf die Seelsorge aus?
Sprechen wir von den Seelen. Besonders im ersten Lockdown stimmte die Balance nicht. Ein Mann, dessen Mutter ich beerdigte, brachte es auf den Punkt: „Sie starb nicht am Virus, sondern an Einsamkeit.“ Wegen des Besuchsverbots gingen alte Menschen in den Heimen ein wie Blumen, die kein Wasser mehr bekommen. Die Vorschrift stand über dem Gebot der Barmherzigkeit, über der Menschenwürde. Der enge Regelungsblick verhinderte ein Abwägen von Herz und Verstand. Wir wissen alle um die Endlichkeit irdischen Daseins. Wenn wir nur noch vor Angst zitternd in der Ecke sitzen, verliert das Leben seinen Sinn.
Wie werden Sie in der Kirche Weihnachten feiern?
Es gilt die 2G-Regel. Das ist in unserer Gemeinde sowieso kein Problem. Wir haben schon festgestellt, dass von 120 Gottesdienstbesuchern an einem normalen Sonntag 118 geimpft waren. Und bei den beiden Ungeimpften handelte sich auch nicht um Verschwörungsspinner.
Käme für Sie ein Online-Gottesdienst in Frage?
Nein. Zum einen ist das prinzipiell nicht meine Sache. Vor kurzem fragte mich ein Patenkind nach meiner E-Mail-Adresse. Da musste ich ihn enttäuschen. Dafür sammelt er die Postkarten, die ich ihm schicke. Übertragene Gottesdienste empfinde ich als wenig erfüllend, währenddessen entwickle ich das Verlangen, mir in der Küche einen Tee zuzubereiten. Ein bisschen wirkt das auf mich, als wenn ich Lust auf Lebkuchen hätte, aber nur den Prospekt von Lebkuchen-Schmidt zu lesen bekomme. Andererseits: Ich habe unsere Pfarrsekretärin Elke Winter gebeten, mir die Bibellesungen mit dem Titel „Vom Ohr ins Herz“ einmal auf ihrem Bildschirm zu zeigen. Da muss ich zugeben: Unsere Pfarrgemeinderatsvorsitzende Claudia Oberbeck und der Tontechniker Lothar Juli setzen das sehr gut in Szene. Hier hat man tatsächlich Freude, sich das anzusehen.
Wie fühlt sich die Pandemie für Sie persönlich an?
Ich kann Gutes in der Ruhe sehen. Manche Sitzung, die früher als dringend notwendig galt, musste ausfallen. Und siehe da: Die Welt dreht sich trotzdem weiter.
Das Gespräch führte Stefan Mangold.