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Mühlheim nimmt Abschied von Travestie-Star Gerhard „Gerda“ Stein

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Gedenkfeier in der Willy-Brandt-Halle: Viele nehmen Abschied von Gerhard Stein alias Gerda Ballon.
Gedenkfeier in der Willy-Brandt-Halle: Viele nehmen Abschied von Gerhard Stein alias Gerda Ballon. © m

Viele Menschen erweisen Gerhard Stein bei der Gedenkfeier in der Willy-Brandt-Halle die letzte Ehre. Der Abschied eines Travestie-Stars.

Mühlheim – Klassische Musik schwillt in den Lautsprechern sanft an. Es ist der „Abendsegen“ aus „Hänsel und Gretel“, den er sich für diesen Augenblick gewünscht hat. Ja, „der kleine Gerhard“ hat in Kindertagen im Frankfurter Opernchor gesungen. Dazu schaut Gerda Ballon mit blonder Locken-Perücke, Rüschenkleid, viel Schminke und einem gütigen Lächeln im Gesicht auf die Versammelten. Gerhard Stein blickt im Profil mit weißem Haar und weißem Kragen im Gegenlicht in die Ferne. Die Reihen in der Willy-Brandt-Halle sind locker besetzt, das Rednerpult mit schwarzem Tuch verhüllt zur öffentlichen Trauerfeier für Gerhard Stein. Die „bessere Hälfte“ von Gerdas kleiner Weltbühne ist verstorben.

Abschied von Travestie-Star Gerhard Stein: Sein Leben aber war „Glück im Übermaß“

„Er war kerngesund, hatte keinen Krebs, nicht gelitten“, verbessert Ehemann Jürgen Peusch alias Jutta P. die Boulevardpresse. Aber die Gerda saß schon im Rollstuhl, als das Paar Las Vegas, Hamburg und Berlin besuchte. „Er wurde immer müder, fuhr nicht mehr raus mit seinem Scooter“. Peusch erinnert an den „Hypochonder“ Stein, der „immer mit Sprüchen um sich geworfen“ habe. „An seinen letzten Tagen hat er nur geschlafen“, sein Leben aber war „Glück im Übermaß“, selbst beim Sterben.

Einige Weggefährten sprachen bei der Beisetzung auf dem Alten Friedhof, die Reden laufen über die Bildschirme im Saal. Die einstige Radiomoderatorin Gaby Reichardt beschreibt den Verstorbenen als „witzig, niemals beleidigend“, mit großer Stärke und seiner eigenwilligen Art habe er gelernt, mit Schicksalsschlägen umzugehen. „Nächstenliebe, Gastfreundschaft, Aufgeschlossenheit – so warst du, oft Retter in der Not und Ansprechpartner, der sich seiner Tränen nicht schämte“. Stein habe sich nicht unterkriegen lassen, dabei Kraft für seinen Lebensweg gewonnen und bis zum letzten Tag Zuversicht bewahrt. „Die Lücke, die du hinterlässt, ist nicht zu füllen“, sagt Reichardt.

Mühlheim nimmt Abschied: „Gerda hat die Gürtellinie nach unten verschoben“

Gerdas Lied von den „kleinen Sünden“ passt auch zu Schmidts Tivoli in Hamburg, für das Corny Lippmann sprach. Der über „fast 50 Jahre erfolgreiche Travestiestar mit hessischer Schnauze und die Ikone der Travestie“ habe für die Anerkennung ihrer Kunst kämpfen müssen. „Gerda hat die Gürtellinie nach unten verschoben“, brachte Hilfe und Zuneigung ohne viel Aufsehen, konnte aber auch mürrisch und garstig sein.

Mühlheims Bürgermeister Daniel Tybussek bemerkt, dass „wir alle tief bewegt sind. Wer hätte 1974 daran gedacht, dass im Markteck ein international anerkanntes Travestietheater entstehen würde.“ Stein war Träger des Paul-Hindemith-Kulturpreises. „Wir schämen uns der Tränen nicht“, betont die Mainzer Sängerin Margit Sponheimer von der Leinwand und ehrt den verstorbenen Freund in Versen. Die Trauergäste spenden Applaus für Gerd Stein und Geld für „Rettet Kinder Rettet Leben“, die Kleine Weltbühne unterstützt den Verein von der ersten Stunde an. (m)

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