Ehemaliger Eichbeamte schenkt Mühlheimer Geschichtsverein zwölf historische Waagen

Restaurants müssen damit rechnen, dass plötzlich das Gesundheitsamt nach der Hygiene schaut. Auf Baustellen kontrolliert der Zoll die Papiere der Arbeiter. Der Obertshausener Winfried Keller erschien hingegen unangemeldet in Metzgereien, Supermärkten oder Apotheken. Der Ingenieur kam vom Eichamt in Hanau und kontrollierte, ob die Waagen korrekt wiegen. Historische Waagen und Gewichte, die das Amt sonst entsorgt hätte, rettete der 77-Jährige einst vor der Müllhalde. Nun überließ er dem Geschichtsverein zwölf Teile aus seinem Besitz.
Mühlheim - Keller geht es wie so manchen Sammlern, die sich wie die Propheten fühlen, die im eigenen Land nichts gelten, „meine Kinder interessieren sich nicht dafür“. Durch einen Artikel in unserer Zeitung wurde der Mann auf den Geschichtsverein Mühlheim aufmerksam und klopfte an, ob es Interesse an einer Übernahme gäbe. Ein Angebot, dass sich alleine für Bruno Schmück, den Spezialisten für historische Industrie und Technik im Verein, auf keinen Fall ablehnen lässt. Der Geschichtsverein plant nun eine Ausstellung mit den Exponaten.
Die Menschen haben sich an die Benennung der Gewichte so gewöhnt, als seien Kilo, Gramm und Tonne etwa naturgegeben. Das Kilo ist jedoch ein mathematisch hochkomplex definierter Wert, der wiederum mit der Französischen Revolution zusammen hängt. „Die Nationalversammlung von 1790 wollte ein Einheitensystem, das für die ganze Welt gilt“, erklärt Keller, „das Kilogramm sollte so schwer wie ein Kubikdezimeter Wasser bei vier Grad Celsius sein“. Bei der Gelegenheit legten die Franzosen auch noch fest, wie lang ein Meter sein soll: die Strecke vom Nordpol zum Äquator, dividiert durch Zehnmillionen.
Das Urkilogramm, das zu 90 Prozent aus Platin besteht, der Rest aus Iridium, liegt in Paris. An ihm müssen sich alle Waagen und Gewichte der Welt ausrichten. Kein Kunde will in der Metzgerei statt mit 200 Gramm Aufschnitt mit drei Gramm weniger abgespeist werden. Um weit weniger geht es, wenn die Präzisionswaage zum Einsatz kommt, etwa um Platin oder pharmazeutische Substanzen zu wiegen. Keller erzählt vom leichtesten Prüfgewicht, das er in einem seiner Koffer bei sich trug: „Ein Milligramm“. Eine Millionen Stück davon braucht es für ein Kilo. Das lässt sich natürlich nur mit speziellen Pinzetten auf die Waage legen, nicht mit den Fingern, „der Schweiß fiele sonst im wahrsten Sinne des Wortes ins Gewicht“.
Der pensionierte Eichbeamte unterscheidet zwischen dem benannten Präzisions-, dem Fein-, dem Handels und dem Grobgewicht. Beim Handelsgewicht geht es um die 200 Gramm Wurst oder die fünf Kilo Kartoffeln. Karl-Heinz Stier, der Vorsitzende des Geschichtsvereins, erzählt, wie ihn die Mutter als Kind zum Metzger schickte, um eine Maßeinheit von „anderthalb Viertel Wurst“ zu holen. Gemeint waren 375 Gramm. Unter Grobgewicht fällt der Sack Zement oder das Auto, das im Werk vom Band geht.
Keller demonstriert eine Waage, mit der die Eichbeamten einst etwa prüften, ob das Ein- oder Halbkilo-Stück wirklich genauso viel wiegt, wie darauf steht. Am längsten kamen die klassischen Gewichte auf den Wochenmärkten zum Einsatz. Aufgrund bestimmter Merkmale schätzt Bruno Schmück, das Teil könnte aus den 1920er Jahren stammen.
Mittlerweile dürfte kaum noch ein Händler Gewichte auf die Waage stellen, um zu verkünden, was die sieben Kartoffeln oder die drei Orangen kosten. Vor mehr als 20 Jahren kamen die POS-Waagensysteme, von denen Keller erzählt, „die Waage zeigt nicht nur das Gewicht an, sondern auch den Preis“. Verkäufer müssen seitdem nicht mehr mathematischen Dreisatz beherrschen.
Keller erklärt, echten Betrug, also manipulierte Waagen, habe man sehr selten entdeckt, „öfter kam es aber vor, dass wir Korrekturen anmahnen mussten“. Keller zitiert noch das Credo der Eichbeamten: „Wer sich nicht hält an Maß und Gewicht, mit dem geht der Herr besonders ins Gericht.“ (Stefan Mangold)