Ehemaliger erinnert sich an Schülerstreik am Ebert-Gymnasium vor 50 Jahren

Vor einem halben Jahrhundert kam es am Friedrich-Ebert-Gymnasium (FEG) zu einem kollektiven Unbehagen, das in einem Schulstreik mündete. Der Hausener Harald Mark kann sich an die Tage zwischen dem 22. und dem 26. November 1971 noch genau erinnern. Aus Protest gegen das Verhalten bestimmter Lehrer bezog der sozialwissenschaftliche Oberstufenzweig in Dietzenbach Quartier und blieb dem Unterricht fern.
Mühlheim - Die von der 1968er-Bewegung geprägten frühen 1970er Jahre lassen sich aus heutiger Sicht nur schwer skizzieren. Mit „Fridays for Future“ kann die Atmosphäre kein Zeitzeuge vergleichen. Damals war es unvorstellbar, gemeinsam mit den Eltern zu demonstrieren, dass Politiker aller Couleur die Teilnehmer auch noch mit Verständnis umgarnen.
Als Beispiel für veränderten Zeitgeist nennt Harald Mark den Abiball, eine der Moden, die aus den USA herüberschwappten. Der 66-Jährige vergleicht das mit 1973, als er und die Mitschüler ihre Abiturzeugnisse bekamen, „eine Präsenz der Eltern wäre grotesk peinlich gewesen“. Heute stehen die Eltern quasi unter Teilnahmedruck.
Das FEG sei im Vergleich zu anderen Gymnasien aus dem Rahmen gefallen, „unsere Lehrerschaft war im Schnitt viel jünger“, erinnert sich Mark. Einige der sonst aktiven Pädagogen hatten Hitler-Jugend, Wehrmacht und Krieg durchlebt und den Kasernenton nicht abgelegt. Das FEG stand für Modernität: „Bei uns gab es in der Oberstufe einen sozialwissenschaftlichen Zweig“, erzählt Mark, „manche hörten Vorlesungen der Frankfurter Schule, die konnten gut argumentieren“. Heute unvorstellbar, damals aber Usus: „Es gab Lehrer, die sich mit uns duzten.“
Weitgehend unbehelligt konnte sich jedoch der Typ Magister ausleben, der im Ruf stand, „Leute auf dem Kieker zu haben“. Mark berichtet, wie sich Schüler des sozialwissenschaftlichen Zweigs von bestimmten mathematischen und naturwissenschaftlichen Lehrern benachteiligt fühlten, „zwischen zwei Noten stehend, bekamen die verlässlich die schlechtere“. Daraus habe dann der Streik resultiert, „montagmorgens fehlten 15 Schüler“. Zwischen Schule und Elternvertretern glühten die Telefonleitungen. Rechtlich hatte der Vorgang noch eine andere Dimension, „die Volljährigkeit sank erst 1975 von 21 auf 18 Jahre“.
Wie sich herausstellte, verweilte die Streikgruppe in der Jugendbildungsstätte Dietzenbach. Harald Mark, der sich für den sprachlichen Zweig entschieden hatte, fungierte als Oberstufensprecher, weshalb er an der anberaumten Konferenz teilnehmen durfte. Bis dahin habe er geglaubt, die Lehrerschaft bestehe aus einem monolithischen Block, „dann konnte ich sehen, wie die Fraktionen stritten“. Die einen traten dafür ein, die Rädelsführer von der Schule zu werfen. Die anderen warnten vor einer Eskalation, „wenn die fliegen, dann knallt es“.
Einen Vorgeschmack, wie das aussehen könnte, hatten Schüler ein Jahr zuvor demonstriert. Zur Einweihung des Neubaus hatte man Honoratioren geladen. Besonders übel blieb der Tag wohl jenen in Erinnerung, die in froher Erwartung ihr Mittagessen hatten sausen lassen. Es kam 1970 zu dem, was Harald Mark als „die Schlacht am Kalten Büfett“ benennt.
Zwar hatte die Gesamtkonferenz beschlossen, auch die anwesenden Schüler sollten sich bedienen dürfen, wohl aber nicht damit gerechnet, dass sich die Gymnasiasten keineswegs sittsam hinten anstellten, sondern vordrängten, um so ziemlich alles an Buletten und Hähnchenschenkeln einzusacken. Viel mehr als Salatblätter blieb nicht übrig.
Was den Streik betrifft, setzte sich die liberale Fraktion mit dem Vorschlag durch, den Schülern für die Rückkehr in den Unterricht eine goldene Brücke zu bauen, über die Probleme zu reden und als Kollektivsanktion lediglich schriftliche Verweise zu verschicken. Im Rückblick wertet Harald Mark die Entscheidung als salomonisch, „mehr als Gelbe Karten gab es nicht“. (Stefan Mangold)