Eine Katze in jeder Wohnung

Angefangen hat alles vor 32 Jahren. „Mein Vater war Architekt“, erzählt Sylvia Schmitt. „Anfang der 90er Jahre hat er in Dörnigheim ein Wohnhaus renoviert, in dessen Keller er ein altes Puppenhaus entdeckt und mich daraufhin angerufen hat.“ Die heute 67-jährige Mühlheimerin fuhr mit ihrem Wagen sofort per Fähre auf die andere Mainseite, sah sich das Puppenhaus an – und war begeistert.
Mühlheim – Sie verfrachtete das etwas sperrige Objekt ins Auto und brachte es in ihre damalige Wohnung an der Wilhelm-Busch-Straße, wo es nach gründlicher Reinigung im ehelichen Schlafzimmer ein neues Domizil fand. Das Puppenhaus blieb indes nicht lange allein, die Sammelleidenschaft war geweckt.
In den folgenden Jahren besuchte Sylvia Schmitt zahlreiche Antik- und Trödelmärkte in ganz Deutschland, vor allem in Sickendorf bei Lauterbach und in Wiesbaden, stets auf der Suche nach Zuwachs für ihre Sammlung. Und sie wurde oft fündig. „Manchmal habe ich ganze Puppenstuben gekauft, manchmal nur Zubehör wie Möbel, Geschirr oder Küchengeräte“, erzählt die Mühlheimerin. „Natürlich alles im Miniaturformat.“ Manches konnte sie recht günstig erwerben, für anderes musste sie ziemlich tief in die Tasche greifen.
Die Sammlung wuchs und wuchs. Nach dem Umzug an die Rathenaustraße hatte die passionierte Sammlerin endlich genügend Platz, um ihre Schätze aufzustellen. Im Lauf der Jahrzehnte hat Sylvia Schmitt etwa 100 Puppenhäuser und -stuben zusammengetragen, heute besitzt sie „nur“ noch etwa 80, die im Keller untergebracht sind.
„Vor etwa acht Jahren stand unser Keller nach einem Heizungsdefekt nahezu komplett unter Wasser“, erzählt die 67-Jährige. „Das Wasser hat etwa 20 Puppenstuben so beschädigt, dass ich sie entsorgen musste.“ Heil blieben glücklicherweise ihre ältesten Puppenhäuser, eins davon aus der Gründerzeit um etwa 1880.
Einige wurden um die Jahrhundertwende angefertigt, andere entstanden während des Zweiten Weltkriegs oder in den 50er Jahren. Auch ihr Lieblingspuppenhaus, ein um 1900 erbautes Schloss samt Königspaar, Personal und Mobiliar, überstand das Hochwasser unbeschadet – sein Standplatz war hoch genug.
Sämtliche Puppenstuben und -häuser sind bewohnt, für viele der hunderte Puppen nähte Schmitts Mutter die Kleider, zudem haben viele der früher oft genutzten Teepuppen in einzelnen Stuben eine Bleibe gefunden. Zu den Raritäten zählen zwei Stuben, die in den 1960er Jahren in der DDR angefertigt wurden. „Die sind heute sehr begehrt“, sagt die Mühlheimerin. „Ich denke aber nicht daran, sie zu verkaufen.“
Unter den Figuren sind die weiblichen klar in der Überzahl. „Männliche gibt es kaum“, so die Mühlheimerin. „Die wenigen sind in der Regel Schornsteinfeger oder Matrosen. Von Gleichberechtigung also keine Spur.“ Das mag laut Schmitt daran liegen, dass früher meist nur Mädchen mit Puppen spielten. „Die sollten lernen, wie man den Haushalt führt.“
Bei ihrem Mann Thomas findet die Mühlheimerin übrigens vollstes Verständnis für ihre Leidenschaft. Zum einen sammelt der selbst, unter anderem volle und leere seltene Weinflaschen. Zum anderen sind beide Schmitts Katzenliebhaber. Da wundert es nicht, dass jede der Puppenstuben von mindestens einer Katze bewohnt wird. (Karl-heinz Otterbein)