Hans-Peter Schwenger führt in Mühlheim durch die Bahnhofstraße

Stadtführer Hans-Peter Schwenger unterhält die Teilnehmer seiner Tour mit allerlei Anekdoten und erklärt ihnen, wie sich die Bahnhofstraße mit der Zeit gewandelt hat.
Mühlheim – Die Geschäfte, die man als Kind erlebte, sind meistens mit nostalgischen Erinnerungen verknüpft. Beim Metzger gab es ein Stück Wurst auf die Hand, woanders tolle Spielsachen. Stadtführer Hans-Peter Schwenger stellte nun „Die Bahnhofstraße im Wandel der Zeit“ vor. Dazu erscheinen am Treffpunkt Ecke Dammstraße über 40 Zuhörer. Ihnen erzählt Schwenger von Eisenwaren Lenz, Eisenwaren Bischoff und Glock Bestattungen, die unter der Hausnummer Bahnhofstraße 78 firmierten. Vor dem Wohnhaus deutet nichts darauf, dass sich hier einmal Kundschaft die Klinke in die Hand drückte.
Gegenüber im Kino liefen zwischen 1951 und 2010 Filme wie „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef oder „Der Baader Meinhof Komplex“ mit Martina Gedeck. Schwenger erzählt, was sich heute kaum mehr vorstellen lässt, „die Zuschauer durften in den 70er Jahren rauchen“. Zur Zeit lässt sich in der Immobilie Kebab kaufen. Ein anderes Geschäft gibt es an der Ecke zur Schillerstraße schon ewig. Die Bäckerei Ferdinand eröffnete 1920 in dem mit gelben Backsteinen gebauten Haus.
Schwenger spricht von einem grundsätzlichen Problem, was die Mikrogeschichte einer Ortschaft betreffe, „die Leute, die sich an Details erinnern, sterben langsam aus“. Schwenger recherchierte mit der Hilfe des kürzlich verstorbenen Jürgen Dorn die Historie von 60 Geschäften an der Bahnhofstraße.
In Erinnerung an die Anfänge
Der 70-jährige Dietesheimer Schwenger verbindet mit der Bahnhofstraße besonders seine Kindheit. Vater Leo wuchs in der Hausnummer 49 auf, wo der kleine Hans-Peter die Oma oft besuchte. Gegenüber lag das Haushaltswarengeschäft von Nikolaus Rau, das die Mühlheimer „Raue Nicki“ nannten, was nichts mit einer Charaktereigenschaft des Eigentümers zu tun hatte. Beim „Raue Nicki“ gab es etwas, das Schwenger begeisterte, „h0-Modelleisenbahnzubehör von Fleischmann“. Beate Wirbelauer assistiert und zeigt ein vor dem Haushaltswarengeschäft aufgenommenes Foto. Zu sehen ist eine Frau, die wohl mit der Tochter an dem geschlossenen Laden vorbeigeht. Die Frisur deutet auf die 60er Jahre.
Dieter „Theo“ Höhn läuft mit durch die Bahnhofsstraße. Der verrentete frühere Sportjournalist unserer Zeitung wuchs in dem Haus auf, in dem er heute mit Ehefrau Ingrid lebt. Drinnen befindet sich das Restaurant „Hildesheimer Hof“. Höhn erklärt, warum die Eltern auf die Idee kamen, ihrem Hotel, das einst „Stadt Karlsruhe“ hieß, den Namen einer niedersächsischen Stadt zu geben, in der die Menschen ihre Probleme haben dürften, Hessisch zu verstehen: „Meine Mutter und mein Vater hatten sich in Hildesheim kennengelernt.“ Gattin Ingrid Höhn wuchs in Dietesheim auf, wo es keinen Spielzeugladen gegeben habe, auf der Bahnhofstraße aber schon, „ich bekam dort einen Brummkreisel“.
Die Straße, an die so viele Erinnerungen geknüpft sind, wandelte sich mit der Zeit. Schwenger zählt aktuell sieben Friseurläden. Dazu gesellen sich das Eiscafé Costa, der Mühlheimer Buchladen oder Blumen Roth sowie das Feinkostgeschäft Konstantinidis. Mit der Immobilie verbindet Hans-Peter Schwenger einen weiteren Abschnitt seiner Biografie. Beim „Milch-Dey“ kaufte der einstige Bäckermeister fürs eigene Geschäft Milch und Sahne. Unter den Zuhörern gibt sich ein Mann als Werner Dey zu erkennen, der Sohn der Betreiber, der seit dreißig Jahren an die Familie Konstantinidis vermietet. (VON STEFAN MANGOLD)