Immer noch nicht genesen

Etwa 40 000 Menschen, nicht nur aus Deutschland, haben bereits die Petition online unterschrieben, mit der das Team von #nichtgenesen an die Bundespolitik die Forderung stellt, mehr für Betroffene von Long-Covid, ME/CFS und dem Post-Vakzin-Syndrom zu tun. Doch mit dieser Zahl will sich Ulrike Huf, die an Long-Covid erkrankt ist und deshalb seit Juli 2021 arbeitsunfähig ist (wir berichteten), nicht zufrieden geben.
Mühlheim – Die Mühlheimerin ist Mitgründerin der Initiative #nichtgenesen. Unter diesem Namen hat sie auf Instagram zahlreiche Fotos von Betroffenen veröffentlicht. Die Seite hat bereits über 600 Beiträge und die Gruppe wächst immer weiter. „Bei jeder Infektion mit dem Corona-Virus besteht die Möglichkeit, dass Long-Covid auftritt“, sagt Huf. Laut Studien seien 10 Prozent der Corona-Infizierten von Langzeitfolgen betroffen. Es werden also tendenziell immer mehr Menschen in Deutschland, die betroffen sind. Umso mehr wundert sie sich, dass diese Menschen immer noch vergessen werden. Deshalb ist Anfang September die Petition online gegangen: „Wir wollen die Aufmerksamkeit zurückgewinnen.“ Dabei hat sich die Initiative mit den Gruppen der Betroffenen von ME/CFS und dem Post-Vakzin-Syndroms zusammengetan, um sich gegenseitig zu unterstützen und aufeinander aufmerksam zu machen.
Das Post-Vakzin-Syndrom tritt in seltenen Fällen nach einer Corona-Impfung auf. Es führt zu andauernden Krankheitssymptomen. ME/CFS ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung. Betroffene leiden unter krankhafter Erschöpfung, die sich nach teilweise kleinsten körperlichen oder geistigen Anstrengungen verschlimmert. Charakteristische Symptome von ME/CFS treten bei einem bedeutsamen Teil der Long-Covid-Erkrankten auf, heißt es auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS. Die Krankheit kann derzeit nicht geheilt werden und bedeutet für viele Patienten die Arbeitsunfähigkeit.
Eine Änderung der Situation versprechen sich die Betroffenen rund um Ulrike Huf durch das Medikament BC 007 der Firma Berlin Cures. In der Petition fordern sie, die Zulassungsstudien finanziell zu unterstützen. Das richte sich insbesondere an das Bundesgesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung von Bettina Stark-Watzinger (FDP). Letztere sei auf bisherige Bestreben, sich mit dem Berliner Unternehmen in Kontakt zu treten, um über das Medikament ins Gespräch zu kommen, nicht eingegangen, sagt Huf. BC 007 sei ursprünglich ein Herzmedikament, das allerdings bei Long-Covid-Patienten zu einer Heilung geführt habe. Es könne auch langjährige Betroffene von ME/CFS eine Perspektive auf ein Leben ohne die Krankheit geben. „Das Medikament wird nicht alle heilen. Da sind wir uns sicher. Aber es wird einer großen Menge helfen können oder zumindest Besserungen schaffen“, sagt Huf. Wer nur im Bett liegen könne, würde jede Besserung dankend annehmen.
Zu BC 007 laufen Studien an der Universitätsklinik in Erlangen, die hauptsächlich durch Spenden finanziert werden. Die Unterstützer der Petition fordern mehr staatliche Forschungsgelder, um schneller zu Ergebnissen und einer Zulassung von BC 007 zu kommen. Zuletzt habe der Bund 6,5 Millionen und 5 Millionen Euro in die Forschung der drei Erkrankungen Long-Covid, ME/CFS und Post-Vakzin-Syndrom investiert. Der Zusammenschluss fordert allerdings, die staatlichen Fördergelder für weitere klinische Studien und geeignete Therapiemöglichkeiten auf mindestens 100 Millionen Euro für einen Zeitraum von zunächst 24 Monaten zu erhöhen.
Eine dritte Forderung lautet, interdisziplinäre Behandlungszentren zu errichten. Es gebe zwar bereits Anlaufstellen für Erkrankte – Ulrike Huf wurde zur Universitätsklinik nach Frankfurt geschickt –, dort könne aber kaum geholfen werden. „Ich werde ohne Medikation nach Hause geschickt. Dann komme ich nach ein paar Monate wieder, meine Werte werden kontrolliert und dann warten wir bis zum nächsten Mal“, berichtet Huf von ihren Erfahrungen. Da die Symptome bei Long-Covid so unterschiedlich sein können, wäre es wichtig, viele Fachrichtungen zu vereinen, um das Wissen zu bündeln, sagt Huf.
Ihr persönlich ging es nach drei Blutwäschen im Mai besser, erzählt Huf, die in der SPD in Mühlheim aktiv ist. Sie konnte wieder Dinge im Haushalt erledigen wie Staubsaugen oder die Wäsche aufhängen. Nach einer zweiten Corona-Infektion vor einigen Wochen sind die Fortschritte dahin. „Es ist festgestellt worden, dass es mit jeder Infektion wahrscheinlicher wird, Long-Covid zu entwickeln“, sagt Huf. Für viele sei die Pandemie mittlerweile vorbei. Schutzmaßnahmen sind sukzessive abgebaut worden. Sie versteht das nicht. Denn für Betroffene von Long-Covid ist die Krankheit nicht vorbei. (Theresa Ricke)
Die Petition ist zu finden unter www.change.org/p/bc007-now-chance-auf-heilung-f%C3%BCr-millionen-erkrankte-menschen-longcovid-nichtgenesen