Steigende Belastung für Bürgermeister: Kein Traumjob mehr?

Der frühere Mühlheimer Rathauschef Karl-Christian Schelzke weist im Interview auf die zunehmende Belastung von Bürgermeistern hin.
Mühlheim – Am Sonntag wählen die Mühlenstädter einen neuen Bürgermeister. Neben zahlreichen Vorteilen bringt das Amt des Rathauschefs heutzutage allerdings auch einige Unannehmlichkeiten mit sich. Einer, der sich damit auskennt, ist Karl-Christian Schelzke. Der 72-Jährige hat sich als ehemaliger Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebundes täglich mit kommunalpolitischen Belangen auseinandergesetzt. Seit seinem Wechsel zum Verband der kommunalen Wahlbeamten in Hessen (VKWH) beschäftigt sich der frühere Mühlheimer Rathauschef nun vorrangig mit den Anliegen der Bürgermeister. Im Interview spricht er über die zunehmende Belastung dieser, die Rolle von Social Media und wie Betroffene mit Druck umgehen.
Herr Schelzke, ist die Belastung für Bürgermeister heutzutage höher?
Definitiv. Amtsinhaber, das gilt für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gleichermaßen, sehen sich heute mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die einiges abverlangen – körperlich wie mental.
Woran liegt das?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Corona, Inflation und Energiekrise machen den Job sicher nicht einfacher, aber auch das Verständnis auf Seiten der Bürger hat in den letzten Jahren nachgelassen.
Inwiefern macht sich das bemerkbar?
Viele Menschen sind von der Politik enttäuscht und haben kein Vertrauen mehr. Ihren Unmut können sie heute direkt über die sozialen Medien an den ihrer Meinung nach Schuldigen richten.
Den Bürgermeister?
Genau. Es gibt kaum noch Rathauschefs, die keine Hassmails oder Beleidigungen im Netz ertragen müssen. Als Bürgermeister muss man natürlich ein Stück weit resilient gegenüber solchen Anfeindungen sein, aber spätestens wenn die eigene Familie darunter leidet und bedroht wird, lässt das niemanden mehr kalt.
Kommt das häufiger vor?
Leider ja. Gerade in kleineren Kommunen ist bekannt, wo der Bürgermeister wohnt. In Erbach hat beispielsweise ein Mann im Internet dazu aufgerufen, vor dem Haus des Rathauschefs zu demonstrieren und ihn sowie seine Familie aktiv zu bedrohen.
Gibt es Methoden, damit umzugehen?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es den Betroffenen ungemein hilft, sich mit Personen, die in einer ähnlichen Situation sind oder waren, auszutauschen. Denn oftmals hat man das Gefühl, mit seinen Problemen alleine zu sein, ein offenes Gespräch kann da schon sehr viel bewirken.
Welche Angebote bietet der VKWH zur Unterstützung an?
Wir fördern den Austausch zwischen den Mitgliedern, veranstalten aber auch regelmäßig Leitbild-Diskussionen, um den Bürgern ihre besondere Rolle für die lokale Demokratie bewusst zu machen und wie sehr sie diese mit solchen Äußerungen schädigen. Wir versuchen daher häufig, zwischen Bevölkerung und Politik zu vermitteln, um einen produktiven Diskurs zu ermöglichen.
Stammt der Druck denn ausschließlich aus der Bevölkerung?
Nein, Bürgermeister müssen sich auch immer wieder vor Gericht verantworten, beispielsweise für vermeintliche Unterlassungen oder Beschlüsse, die mehrheitlich von der Stadtverordnetenversammlung durchgewunken wurden.
Sind sie also häufig einfach nur Sündenbock?
So kann man es sagen. Die Leute brauchen eben immer einen Schuldigen, um ihr Gewissen zu beruhige. Dabei vergessen sie leider, dass die Entscheidungen nicht alleine von Bürgermeistern getroffen werden, da sie bei vielen Themen auf die Mehrheit im Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung angewiesen sind.
Woran liegt das?
Das ist der unechten Magistratsverfassung geschuldet, die nur noch in Hessen und in Bremerhaven gilt. In Baden-Württemberg gibt es nur ein Entscheidungsorgan, den Stadt- oder Gemeinderat, dem der Bürgermeister zudem vorsitzt. Es herrscht also oftmals ein falsches Bild von den Verantwortlichkeiten.
Wie kann dem entgegengewirkt werden?
Indem man Bürger möglichst frühzeitig in politische Diskussionen einbindet. Dadurch kann auch ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt und der Fokus vom Bürgermeister genommen werden.
Raten Sie das auch dem künftigen Rathauschef in Mühlheim?
Definitiv. Die politischen Fronten waren in den letzten Jahren verhärtet, wodurch viele die Lust an der Politik verloren haben. Außerdem rate ich dem neuen Bürgermeister, seinen Mitarbeitern möglichst viel zuzutrauen und Verantwortung zu übertragen – dadurch kann Belastung ab- und Wertschätzung zunehmen.
Würden Sie heute noch mal als Bürgermeister kandidieren wollen?
Das ist eine gute Frage (lacht). Es ist tatsächlich nicht mehr der Traumjob wie früher. Ich würde mich aber jederzeit wieder zur Verfügung stellen, da man trotz allem Chancen hat, für die eigene Stadt gestalterisch tätig zu werden.
Das Gespräch führte Jan Lucas Frenger.
Das ist der Verband der kommunalen Wahlbeamten in Hessen
Der Verband der kommunalen Wahlbeamten in Hessen (VKWH) vertritt unter anderem die Interessen seiner Mitglieder gegenüber der Landesregierung. Als Sprachrohr ist dem VKWH daran gelegen, auf die hohe Belastung der Amtsträger hinzuweisen. Aktuell zählt der Verband rund 400 Mitglieder, davon sind 160 aktiv als Bürgermeister tätig. Geschäftsführer Karl-Christian Schelzke, der diese Position seit 2021 ausfüllt, ist in seiner Rolle zudem als Strafverteidiger tätig, vertritt Bürgermeister vor Gericht. Bekanntes Beispiel: Der Prozess gegen den damaligen Rathauschef Neukirchens, der sich für das Ertrinken dreier Kinder in einem Teich verantworten muss.