Lesung von Frauenbündnis und „Bunt statt braun“ zur NS-Bücherverbrennung in Mühlheim

Die Nationalsozialisten brauchten keinen langen Anlauf, um das öffentliche Leben auf Linie zu trimmen. Das Bündnis „Bunt statt braun“ erinnert nun bei einer szenischen Lesung des Mühlheimer Frauenbündnisses auf dem alten Festplatz gegenüber der Goetheschule an die wohl dunkelste Zeit Deutschlands, bei der die Bücherverbrennungen kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine zentrale Rolle einnahmen. Die Schirmherrschaft für die Veranstaltung hat Bürgermeister Daniel Tybussek übernommen.
Mühlheim – Auch auf dem ehemaligen Festplatz in Mühlheim brannten Bücher. Zuvor hatte ein „deutscher Kampfausschuss wider den undeutschen Geist Sie hiermit ersucht, aus Ihrer Leihbücherei und aus dem Vertrieb all die Literatur zu entfernen, die Sie auf der anliegenden schwarzen Liste vermerkt finden“. Studenten sollten die Bücher mitnehmen, die am 10. Mai 1933 verbrannt werden sollten.
Frauenbündnis-Sprecherin Ingrid Till hatte die Lesung organisiert, die Doris Globig, Waltraud Höfer, Barbara Leising, Birgit Haus, Susanne Kannwischer und Ilse Müller zusammen mit Erich Schaffner vortrugen. Der Theaterschauspieler aus Mörfelden hat die Textpassagen von Zeitzeugen zusammengestellt.
Über den Platz ruft es Richtung Zuhörer: „Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbaren Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr.“ Gemeint ist der einst berühmte jüdische Theater- und Literaturkritiker, der zwei Wochen nach der Inthronisierung Adolf Hitlers zum Kanzler mit seiner Familie das Reich verließ.
Eine andere Stelle beschreibt einen weiteren Exilanten, der die Welt nicht mehr verstand, weil die Nazis seine Gedichte und Stücke vergessen hatten. „Verbrennt mich! Lasst mich nicht übrig! Habe ich nicht immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt werde ich von euch wie ein Lügner behandelt“, schrieb Bert Brecht 1937.
Zufriedener als Brecht resümierte die Lyrikerin Hilde Marx den Umgang mit ihrem Werk, „meine zweite Gedichtsammlung wurde verbrannt, und zwar direkt hinter Thomas Mann, weil ich im Alphabet gleich hinter ihm kam. Das war einer der stolzesten Momente meines Lebens“. In seinem Element bewegte sich Propagandaminister Joseph Goebbels, der bei der Bücherverbrennung in Berlin ausrief: „Wenn ihr Studenten euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flamme zu werfen, dann müsst ihr auch die Pflicht auf euch nehmen, an der Stelle einem wirklich deutschen Geist die Gasse freizumachen.“
Ein Jahr später schrieb Erich Kästner in einem zeitlos wirkenden Gedicht: „Wer warnen will, den straft man mit Verachtung. Die Dummheit wurde zur Epidemie. So groß wie heute war die Zeit noch nie. Ein Volk versinkt in geistiger Umnachtung.“
Die Offenbacher Zeitung kündigte am 19. Mai 1933 die Verbrennung vor dem Schloss an, „alsdann werden symbolisch undeutsche Bücher aller Art mit einem Feuerspruch den Flammen übergeben“. Es lässt sich erahnen, was die Zeitzeugin meinte, die ihre Eindrücke in einem Brief an den mit ihr befreundeten Schriftsteller Arnold Zweig notierte: „Das Publikum von tierischer zufriedener Blödheit, ganz stumpf, passiv und völlig ahnungslos.“ Vielen ging es wohl nur um das Event: „Was verbrennen die eigentlich?“ – „Na, jüdische Bücher!“ – „Nein, undeutsche, so unsittliche.“
Nicht selten wirkt es holprig, wenn sich Amateure einem Publikum stellen, nicht so bei den Vorleserinnen des Frauenbündnisses, die gut vorbereitet und klar artikuliert den Spannungsbogen bis zum Finale halten. Der Text endet mit einem Zitat aus der Offenbacher Zeitung: „Der Führer des Kampfbundes für deutsche Kultur fühlt sich gedrängt, der Stadtverwaltung Offenbach, ganz besonders aber der verehrten Firma Klingspor, seinen Dank auszusprechen. Auch der Presse freundlichen Dank.“ (Stefan Mangold)