„Letzte Ausfahrt, bevor wir gegen die Wand fahren“

Eins vorweg: Die Stadt setzt seit gestern wieder alle Hebel in Bewegung, dass der Weihnachtsmarkt in der Altstadt am zweiten Adventwochenende stattfinden kann. Eine Wendung, die die meisten wohl bis Donnerstagabend noch für relativ unwahrscheinlich gehalten haben. Doch es kam anders.
Mühlheim – Der seit dem vergangenen Herbst lodernde Etatstreit scheint vor den Augen von rund 50 Bürgern in der Willy-Brandt-Halle vorerst beigelegt worden zu sein. Am Vorabend des 11.11. reichten elf SPD-Stimmen, um die Haushaltskuh – vorbehaltlich der Prüfung durch die Kommunalaufsicht – vom Eis zu bekommen.
Mit einem taktischen Kniff: Die Grundsteuer B wird auf dem Papier für die Jahre 2023 bis 2025 erhöht, um eine Haushaltsgenehmigung für das laufende Jahr zu erreichen. Eine Anhebung soll aber im kommenden Jahr möglichst durch andere Wege der Haushaltsdeckung so gering wie möglich ausfallen oder gar ganz vermieden werden – so lautet der Plan.
Dabei schienen die Zeichen für die Sitzung der Stadtverordneten weiter auf Konfrontation zu stehen. Sowohl der Weihnachtsmarkt stand durch den nicht von der Kommunalaufsicht genehmigten Etat für das laufende Jahr auf der Kippe, als auch die Vereinsförderung. Weil die Behörde weiter auf die Deckung der Finanzierungslücken in den Jahren 2023 bis 2025 wartete, wurde ein Großteil der freiwilligen Leistungen eingefroren (wir berichteten).
Die regierende Allianz für Mühlheim (CDU, Grüne, Bürger für Mühlheim, FDP) verortet die Schuld der Haushaltsschieflage weiter bei Bürgermeister Daniel Tybussek (SPD), der nach Ansicht von Tansania nicht Wort gehalten und keinen genehmigungsfähigen Haushalt vorgelegt habe. Daher versuchte das Fraktionsquartett zu Beginn der Sitzung mit einem Dringlichkeitsantrag sowohl den Weihnachtsmarkt als auch die Ausschüttung an die Vereine ohne einen genehmigten Etat durchzuboxen. Doch da hat sich Tansania offenbar verpokert: Die erforderliche Zweidrittelmehrheit, um den Antrag überhaupt auf die Agenda zu bekommen, wurde nicht erreicht. Eine Stimme fehlte. Somit blieb Bürgermeister Daniel Tybussek (SPD) erspart, sich auf Geheiß des Parlaments über die Anweisungen der Kommunalaufsicht hinwegzusetzen.
Bei der Debatte über den von der SPD vorgelegten Lösungsvorschlag nahm die Allianz erneut den Bürgermeister ins Visier: Nur er kenne die wahren Einsparmöglichkeiten, sagte Lukas Achenbach (CDU) und wiederholte die schon monatelang mantraartig vorgetragene Aufforderung an Tybussek, „endlich einen genehmigungsfähigen Antrag vorzulegen“, denn „theoretische Grundsteuererhöhungen gibt es nicht“.
In die gleiche Kerbe schlug auch BfM-Fraktionschef Dr. Jürgen Ries: Er forderte, Tybbussek solle die Kämmerei abgeben, „dann ist das Thema in ein paar Wochen vom Tisch“. 1000 Gründe, die SPD-Vorlage abzulehnen, sah FDP-Fraktionschef Michael Bill. So wolle er keine Erhöhung irgendeiner Steuer, „bevor nicht der erkennbare Versuch unternommen wurde, den Haushalt zu entschlacken und endlich mal die Wirtschaftskraft dieser Stadt zu stärken“.
Die-PARTEI-Bürgermeisterkandidat Helge Kuhlmann fragte, warum langjährigen Parlamentariern nichts Besseres einfalle, als die Grundsteuer zu erhöhen. Mühlheims Bürger dürften nicht unter politischen Winkelzügen und darunter, dass sich die Parteien nicht einig werden, leiden, appellierte er an die Vernunft der zerstrittenen Lager und forderte: „Handeln Sie endlich zum Wohl der Stadt.“
„Anstrengend und zermürbend“ nannte Yannic Bill (SPD) den fast eineinhalb Jahre währenden Etatstreit. Die Allianz sei bemüht, sich zu profilieren, die SPD lege bewusst den Finger in die Wunde und die PARTEI mache konstruktivere Arbeit, „als man es eigentlich von ihr erwartet hätte“. Nun hätten die Genossen einen Antrag, „der das ganze Dilemma lösen kann“. In Richtung Tansania sagte er: „Unsere einzige und alleinige Aufgabe ist, das Wohl der Bürger im Blick zu haben.“
Man wolle keine Grundsteuererhöhung, versicherte SPD-Frontmann Harald Winter, man wolle aber dem nachkommen, was die Kommunalaufsicht verlange. Die SPD wolle mit dem Antrag eine Brücke bauen. „Lassen Sie uns zusammensetzen und schauen, dass wir nicht die Grundsteuer erhöhen müssen.“ Er appellierte: „Nehmen wir die letzte Ausfahrt, bevor wir gegen die Wand fahren.“
Bürgermeister Tybussek forderte ein gewisses Mindestmaß an Fairness und entgegnete den Vorwürfen, kein „intransparentes System“ zu führen. „Das Zahlenwerk ist für alle ersichtlich“, das habe Walter Bauer mit seinem Bürgerhaushalt nun vorgemacht. Der Kämmerer stellte klar, dass erst mit der Verabschiedung einer entsprechenden Satzung eine Grundsteuererhöhung in Kraft trete. Mit Blick auf den Etatstreit konstatierte Tybussek: „Alle haben Fehler gemacht, da schließe ich mich mit ein.“
Nach der hitzigen, von Vorwürfen getränkten Diskussion dann die überraschende Wendung: Bei einer absatzweisen Abstimmung des SPD-Antrags reichten elf Stimmen der Genossen, da sich Tansania und die Restopposition größtenteils enthielten (bei sieben Nein-Stimmen). Nun darf man gespannt sein, ob die Kommunalaufsicht den 2022er-Haushalt so genehmigt. Das Ergebnis dürfte noch ein paar Wochen auf sich warten lassen. (Ronny Paul)