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„Ihre Tochter ist nicht normal“: Frau (26) leidet am unheilbaren Rett-Syndrom - Mutter erzählt die Geschichte

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Von: Stefan Mangold

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Petra Römer übernahm den Vorsitz des Selbsthilfevereins, den Familien betroffener Kinder gründeten. Foto: man
Petra Römer übernahm den Vorsitz des Selbsthilfevereins, den Familien betroffener Kinder gründeten. © Foto: man

Es dauerte, bis die Römers in den 1990er-Jahren wussten, warum Lisa plötzlich vieles verlernt. Heute lässt sich die seltene Krankheit früh durch einen Gentest erkennen. Petra Römer erzählt vom Rett-Syndrom ihrer 26-jährigen Tochter.

Mühlheim – Ein paar Sekunden Sauerstoffmangel reichen, dass sich kein gesundes Leben mehr entwickeln kann. Das Gleiche gilt für den winzigen Defekt eines Chromosoms. Petra Römer erzählt, wie alles glatt lief, als ihre zweite Tochter Lisa 1993 zur Welt kam. Gewicht, Größe und Werte waren ebenso unauffällig wie das Verhalten des Säuglings. „Nichts deutete auf eine Behinderung“, berichtet die 52-Jährige.

Als das Kind eineinhalb Jahre alt war, kamen den Eltern Zweifel. Bis dahin hatte Lisa schon einzelne Wörter gesprochen, dann plötzlich nicht mehr. „Sie knetete ständig ihre Hände. Wir dachten, es juckt sie“, erinnert sich die Mutter. Lisa konnte außerdem nichts mehr greifen. Ein Arzt in einer Klinik in Hanau schaute sich das Kind an an und sagte: „Ihre Tochter ist nicht normal.“ Der Mann tippte auf frühkindlichen Autismus. „Wir waren fertig mit der Welt“, erinnert sich Römer an Gespräche mit Ehemann Frank.

Der Kinderarzt teilte die Autismus-Diagnose nicht, konnte aber auch nicht sagen, was es sonst sein könnte. In der Frankfurter Uniklinik fiel im Februar 1995 der Begriff „Rett-Syndrom“. Der Mediziner dort gab der Mutter aber lediglich die Diagnose eines Kollegen weiter, „er wusste selbst nicht, was Rett-Syndrom bedeutet“. Die Mühlheimerin fragte einen ihr bekannten Apotheker, der nachschlug und erstmal schwieg. Auf Römers Nachfrage antwortete er, „dein Kind wird nicht mehr lange leben“.

Mühlheim: Rett-Syndrom führt zum Stillstand der Entwicklung

Mittags ging die Mutter mit Lisa zum Kinderarzt, der erklärte, von einem Rett-Syndrom noch nichts gehört zu haben. Etwa eines von 15 .000 Mädchen ist von der Krankheit betroffen, deren Symptome der Wiener Kinderarzt Andreas Rett das erste Mal in den 1960er-Jahren beschrieb. Zwischen dem sechsten und 18. Monat kommt es zu einem Stillstand der Entwicklung. 

Erlernte Fähigkeiten gehen wieder verloren. Typisch: Die Hände lassen sich nicht mehr nutzen – so wie damals bei Lisa. Mittlerweile lässt sich mit einer Zuverlässigkeit von 95 Prozent per Gentest feststellen, ob ein Mädchen betroffen ist. Es sind nur Mädchen, die den Gendefekt im Mutterleib überleben. Männliche Embryos gehen ab, ohne dass eine Frau das merken muss.

Den Römers gab damals ein Arzt der Uni-Klinik die Adresse einer Elternhilfe für Kinder mit Rett-Syndrom. Die Familie trug sich in eine Liste ein und bekam bald Post: „Meine Anne ist zwei Jahre älter als eure Lisa. Wollen wir uns mal treffen?“ Daraus entwickelte sich ein enger Kontakt, der nach wie vor besteht. Familien, die sich über die Selbsthilfegruppe kannten, gründeten im November 2018 schließlich „Rett-Syndrom Südwest“, eine Anlaufstelle für Betroffene aus den Regionen Rhein-Main, Saarland, Pfalz und Mosel.

Mühlheim: Verein bietet Fachvorträge zu zum Rett-Syndrom

In erster Linie geht es um den persönlichen Kontakt. Der Verein bietet aber auch Fachvorträge über Themen wie Musiktherapie, Orthopädietechnik oder Epilepsie an, mit der viele Rett-Betroffene zu kämpfen haben. Bisher gilt die Krankheit als unheilbar. „Es gibt jedoch Ansätze in der Forschung“, hofft Petra Römer, dass sich der Zustand ihrer Tochter irgendwann verbessern lässt, dass die Krankheit bei Säuglingen erst gar nicht ausbrechen kann.

Mittlerweile ist Lisa 26 Jahre alt. Ihr sechs Jahre jüngere Bruder füllte schon früh die Rolle des Älteren aus, der auf seine Schwester achtet. Laufen kann Lisa nur, wenn man sie stützt. Ansonsten sitzt sie im Rollstuhl, sprechen kann sie nicht. Kommunizieren aber schon. Petra Römer erzählt, wie Lisa einmal versehentlich Vater Frank in den Finger biss, als der sie fütterte. Anschließend zeigte Lisa auf ein Symbol für „Entschuldigung“.

--> www.rett-syndrom-suedwest.de

VON STEFAN MANGOLD

In Mühlheim entstehen mit dem Projekt „Sixplaces“ 116 Wohnungen auf sechs Gebäude verteilt. Der Bau hat begonnen.

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