Mühlheimer Travestie-Theater „Gerdas kleine Weltbühne“ schließt nach fast 50 Jahren.

Nach 48 Jahren schließt das Mühlheimer Travesti-Theater „Gerdas kleine Weltbühne“. Inhaber Jürgen Peusch bringt zum Abschied seine Reqiusiten an den Mann und die Frau.
Mühlheim – „Braucht jemand eine neue Brust? Prall, dezent, hängend? Hier gibt’s Möpse ohne Ende“, prahlt Jutta P. ohne mit den Wimpern zu zucken, die gerade in durchsichtigen Plastikkästen schlummern. Im Fundus von Gerdas kleiner Weltbühne geht’s zur Sache: Alles muss raus, Jürgen Peusch alias Jutta P. hat das prominente Aushängeschild für Weltoffenheit und Kunst aufgegeben.
Nach zwei Jahren unter Pandemie-Bedingungen und dem Tod von seinem Ehemann, Gründer und Namensgeber Gerd „Gerda“ Stein, mache der Betrieb wirtschaftlich betrachtet keinen Sinn mehr. Witwer Peusch gewann noch einmal große Anerkennung mit seinem Solo-Programm Schlagerette, aber zwei Stunden im Rampenlicht zehren doch an der Substanz. Das Travestie-Theater ist nach zwei emotionalen Abschiedsvorstellungen nach 48 Jahren also geschlossen, sämtliches Inventar steht zum Verkauf.
„Ich hab’ Küchentücher genommen.“ Peusch tauscht sich mit einem Kollegen über die Wandlung zur Diva auf Zeit aus, es geht um das Anpassen des Korsetts. Einige Leute aus der Branche haben Lunte gerochen und suchen Passendes und Fehlendes an Kleiderständern, in Regalen und in unzähligen Boxen. Zwischendrin die Mühlheimer Ex-Prinzessin Jenny und ihr Prinz Steffen, längst ein Ehepaar, aber nach wie vor der Fastnacht verschrieben.
Beide hoffen, dass mal wieder eine Kampagne vom 11. 11. bis zum Aschermittwoch läuft – mit Saal- und Straßenfastnacht. „Ansonsten gibt’s ja noch Motto-Partys“, meint die heutige Vorsitzende der Katholischen Karnevalisten und stöbert weiter angeregt im Glitzerkram. Inzwischen sind auch die Freundinnen aus der WhatsApp-Gruppe eingetroffen und staunen.
Wie wär’s mit einem „Brautkleid für Schwangere? Passt halt auch gut gebauten Herren.“ Steffen interessiert sich für eine Pelz-Verkleidung und erntet kritische Blicke. „Fasching ist meistens im Winter“, lautet seine Reaktion bei 30 Grad im Schatten. In den Katakomben des Bürgerhauses, irgendwo zwischen Toilettenanlagen, der alten Küche des ehemaligen Restaurants und den Räumen der Weltbühne ist es angenehm temperiert.
Über einer historischen Feuerwehrspritze auf einem hölzernen Pferdewagen hängen knallbunte Federboas, auf dem Boden reihen sich 40 Paar extravagante Stöckelschuhe aneinander. Die Hoheit von 2014 liebäugelt mit den wulstigen Exemplaren mit den Pril-Blumen drauf. Die würden passen, die Jutta hat schließlich dieselbe Schuhgröße. „Aber wie kann ich damit gehen?“, sorgt sich Steffen. „Das geht leicht, die haben eine Plateau-Sohle“, wird er von seiner besseren Hälfte belehrt.

Aufgereiht stehen auch Styropor-Köpfe, die einst Perücken der Künstler bereithielten. Die Bühne verfügt freilich über Modelle in allen Haarfarben und von passender Frisurmode. Die Damen legen lieber Schmuck an, Diademe, Broschen, Perlenketten, meist gold- oder silberfarben. Das Logo der Rosa-Wölkchen-Sitzungen im Saal obendrüber lächelt von Ansteckern, Westen und Kappen.
Elena Bladin und ihre Mutter Ulla entzücken mehr die Kostüme. Sie wollen die Schülerinnen ihrer Ballettschule in Hanau für verschiedene Auftritte ausstatten. „Da kann man was draus zaubern“, sagt das geübte Auge zum Tüllrock, zum Beispiel umnähen oder neu schneidern. „Wir haben durch Zufall von einer Bekannten von dem Termin erfahren“, berichtet Bladin ohne den Blick vom Pailletten besetzten Stoff zu nehmen.
Von manchen Stücken trennt sich Jürgen Peusch schwerer als von anderen. Ein Glitzerkleid gleicht dem Fummel, den die Norma Desmond in Sunset Boulevard getragen hat, um mit 50 wie ein 20-jähriger Stummfilm-Star zu wirken, hebt der Ruheständler ein edles Schwarzes in die Höhe. Unsummen haben sie seinerzeit für die Ausstattung hingeblättert, aber jetzt muss alles raus. Daheim aufbewahren? – „Da sieht’s jetzt schon aus wie im Museum, und es soll doch leichter werden“, sagt Peusch. Darum werden wohl noch weitere Verkaufstermine folgen, Peusch gibt Bescheid. (Von Michael Prochnow)
