Die Stadtmeisterschaft im Schach der Sport-Union hat begonnen

Obwohl in den nächsten Wochen alle gegeneinander antreten, die an der Friedensstraße in dem Raum stehen, in dem sonst das Blasorchester der Sport-Union probt, herrscht eine tief entspannte Atmosphäre. Schon im vergangenen Jahr schaffte es die Schachabteilung des Vereins, trotz Corona ihre Stadtmeisterschaft auszutragen. Auch dieses Jahr soll es wieder gelingen.
Mühlheim – Eine halbe Stunde vor dem offiziellen Startschuss bauen der Turnierleiter Andreas Rönsch, der Schriftführer Michael Apel und der Jugendwart Reiner Liebske Tische und Bretter auf. Liebske darf in der Liga für Mühlheim nicht um Punkte spielen. Er kommt zwar „seit gefühlten zehn Jahren“ dienstags zum Training an die Friedensstraße 110, wenn es gegen andere Vereine geht, sitzt Liebske aber für den Schachverein Frankfurt am Brett. An der Stadtmeisterschaft darf jedoch jeder teilnehmen. Rönsch zählt zwölf Anmeldungen für dieses Jahr.
Jeder Teilnehmer muss zehn Euro Startgeld bezahlen, die der Disziplinierung dienen sollen. Denn nach dem Turnier bekommt jeder sieben Euro zurück, vorausgesetzt, er spielte alle Partien. Rönsch erklärt, der Modus soll ein Antrieb sein, sich auch nach zwei vergeigten Partien zu Beginn trotz Frust wieder blicken zu lassen, „das wäre unfair für die anderen, deren gewonnene Punkte würden dann gestrichen“. Passiert sei das jedoch selten.
Rönsch erzählt von einem Fall, als ein Spieler nicht mehr erschien, obwohl er in Führung lag, „ein Flüchtling aus Somalia“. Der habe eine unorthodoxe Spielweise gepflegt, „immer voll auf Angriff, außerdem brauchte er für die 40 Züge nur 15 Minuten“. Anderthalb Stunden sind erlaubt. Der Mann hätte die Stadtmeisterschaft sicher gewonnen. Rönsch tippt, er sei aus Höflichkeit kurz vor dem Titel nicht mehr aufgetaucht, „er wollte uns nichts wegnehmen“.
Zum ersten Mal nimmt Rudi Welzenheimer teil. Der 71-Jährige ist in der Schachwelt kein Unbekannter. Vor 40 Jahren fing er mit Korrespondenzschach an, lief zum Briefkasten, um etwa einem Gegner aus der Sowjetunion seinen letzten Zug zu schicken. Zu der besonderen Spielart des Schachs kam er durch Zeitmangel. „Ich gehörte zu den Gründern des Frankfurter Fußballclubs Fortuna 1973“, erzählt der frühere Buchhändler. Neben dem Engagement für den Verein blieb dem Torwart keine Zeit mehr, auch noch feste Trainingstermine im Schach einzuhalten.
2009 gewann Welzenheimer die Internationale Fernschachmeisterschaft, konnte eine Elo-Zahl von 2433 Punkten vorweisen, was in der Szene einen hohen Leistungsstand verrät. Zwei Jahre später habe er keine Lust mehr verspürt, „der Computer spielte mittlerweile die dominierende Rolle“. Zum Spiel zurück fand Welzenheimer am 20. Juli, als die Schachabteilung der Sport-Union zu einem Tag der offenen Türe unter freiem Himmel eingeladen hatte, „das Wetter war super, ich hatte keinen Grund, weiter in Lethargie zu verharren“.
Bevor es losgeht, sammelt Andreas Rönsch von jedem die zehn Euro ein und lässt aus einem Sack die Startnummern ziehen. Einige, die sich angemeldet hatten, fehlen, sei es wegen Krankheit oder aus beruflichen Gründen. Abteilungsleiter Andreas Curth hofft, „dass wir in diesem Jahr noch fertig werden“. Mit Katharine Buntrock nimmt die einzige Frau teil. Die 23-jährige Elektrotechnik-Studentin kam leider umsonst aus Darmstadt. Ihr Los traf auf einen Gegner, der nicht kommen konnte. Im Nebenraum spielt Buntrock gegen Andreas Rönsch und Stefan Eibelshäuser außerhalb der Konkurrenz. Auch deren zugeloste Gegner können heute nicht. Bei seiner Premiere sitzt Rudi Welzenheimer mit Michael Apel am Brett, dem Stadtmeister von 2017. Die Partie endet, wie so viele auf der höheren Ebene des Schachs: remis. (Von Stefan Mangold)