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„Aktion Mensch“ beseitigt Barrieren in der Kulturhalle Schanz

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Musikgenuss vom Podest aus: „Testfahrer“ Sebastian ist Stammgast im Schanz, Laura Gierl, Geschäftsführerin der Kulturfabrik Eigenart, zeigt die neue Barrierefreiheit.
Musikgenuss vom Podest aus: „Testfahrer“ Sebastian ist Stammgast im Schanz, Laura Gierl, Geschäftsführerin der Kulturfabrik Eigenart, zeigt die neue Barrierefreiheit. © m

Der Schrank muss weg. Dann ließe sich die erste Tür weit öffnen. Doch hinter dem Eingang zur Kabine ist Schluss, Sebastian kann seinen Rollstuhl in der Behinderten-Toilette nur mit viel Mühe wenden.

Mühlheim – Immerhin, das Team des Kulturvereins Eigenart hat die Bedürfnisse von Gästen mit Behinderungen im Blick und die ersten Schritte unternommen, den Veranstaltungsort Schanz barriereärmer zu gestalten. „Eine perfekte Umsetzung geht nicht“, weiß Laura Gierl. Dazu müssten sämtliche Treppen in dem Treffpunkt an der Carl-Zeiss-Straße verschwinden, auch die Engstellen in Küche und Büro, erläutert die Geschäftsführerin der Kulturfabrik Eigenart. Der Vorstand habe Experten einbezogen und eine Zuwendung der Aktion Mensch in Höhe von knapp 5 000 Euro beantragt und erhalten. Mit dem Geld haben sie eine Klobrille erhöht, Rampen gekauft, mit denen Rollis an die Theke oder auf ein bühnennahes Podest gelangen.

„Wir setzen uns für Vielfalt und Diversität ein“, erklärt Gierl. „Es ist uns wichtig und ein lang gehegter Wunsch, etwas zu ändern.“ Neben einzelnen Rolli-Fahrern, die Auftritte besuchen, tage die Vereinigung der Glasknochenkranken regelmäßig im Schanz. Für Umbauten haben bislang die Mittel gefehlt. „Es ist ein langer Weg, auch für Hörgeschädigte und Sehbehinderte barriereärmer zu werden“, sagt Gierl

Sebastian steht ihr als „Testfahrer“ bereit. Der 33-jährige Offenbacher ist Tetraplegiker, behielt eine inkomplette Querschnittslähmung von einem Autounfall, an dem er 2008 als Beifahrer auf dem Heimweg vom Wacken-Festival beteiligt war. Arme und Finger funktionieren nicht hundertprozentig. „Mein Rückenmark war nicht durchtrennt, ich spüre was, kann aber nicht laufen“, schildert er offenherzig.

Ärger bereitet dem Fan von Livekonzerten der Ticketkauf. „Mein Rekord war, fast fünf Stunden zu telefonieren, um Karten für einen Rolli-Platz mit Begleitperson zu bekommen.“ Paul, ein guter Freund, steht ihm zur Seite, wenn Sebastian einen spastischen Anfall erleidet. „In Amerika ist das besser organisiert, da werden die Rollstuhlplätze auf der Internetseite angezeigt.“

In großen, neuen Spielstätten wie dem Olympiastadion in Berlin sei die Lage „entspannt“. Ohne Probleme werde er an den gebuchten Platz geleitet: „Da steht keiner vor dir.“ In kleinen Spielstätten wie etwa der alten Frankfurter Batschkapp haben sie ihn reingetragen. Doch im Sitzen habe er selbst mit seinen 1,93 Metern nicht viel vom Programm gesehen. Im Schanz ist er Stammgast. „Da sind immer Leute, die du um Hilfe bitten kannst.“

Die „Richtlinien für den öffentlichen Raum“ fordern, dass die Steigung einer Rampe nicht über sechs Prozent liegt, erläutert die Eigenart-Geschäftsführerin, warum der Verein für Veranstaltungen umgerüstet hat. „Das heißt, die Auffahrt ist mehr als drei Meter lang, um 20 Zentimeter zu überwinden.“ Dazu darf die Rampe freilich nicht in den Notausgang ragen, 1,50 Meter Wenderaum müssen eingeplant werden. Das rasch zusammenschraubbare Podest an der Fensterfront sei erweiterbar, Platz sei zunächst aber nur für zwei Rollis.

Im Restaurant bedeuten die beiden neuen mobilen Objekte des Vereinsprojekts 15 bis 20 Sitzplätze weniger. Der Verein möchte noch die Toilettensituation verbessern und auch eine besser erreichbare Funkklingel am Eingang anbringen. „Unser Bewusstsein hat sich geändert“, betont Laura Gierl, „das hat schon viel geholfen“. (Michael Prochnow)

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