Als Vorsteher des Ortsgerichts muss Michael Binge Grundstücke bewerten

„Des liegt mir lang gut.“ So klingt die Lämmerspieler Übersetzung für die Spekulation, wenn ein Besitzer sein Grundstück brach liegen lässt, weil der Preis dafür vielleicht noch weiter steigt. Einer, der den Satz öfter zu Ohren bekommt, ist Michael Binge (61), einst Justizangestellter und Ausbilder, jetzt selbstständiger Versicherungskaufmann und gerade als Vorsteher des Ortsgerichts Mühlheim am Main II bestätigt. Das Ehrenamt ist eine hessische Spezialität und spart die Bürger viel Geld.
Mühlheim –„Lämmerspiel ist stark geprägt durch den Verkauf vom Waitz“, beobachtet der Experte. „Da sind sehr hohe Beträge geflossen, was den Quadratmeterpreis drumherum weiter nach oben getrieben hat.“ Allein die Existenz einer Stadtbuslinie mache den Stadtteil für Haus- und Wohnungskäufer attraktiver, weiß Binge. „Und natürlich sorgt die aktuelle Zinspolitik auch dafür, dass die Leute in Betongold flüchten“. Doch so manche Immobilie sei 20 bis 25 Prozent überbewertet.
Eine möglichst reale Einschätzung des Preises gehört zu den Aufgaben der Schöffen. Das Lämmerspieler Team ist zu dritt, aber „der Datenschutz lässt uns im Regen stehen“: Die Männer erhalten kaum Informationen über erzielte Preise für Immobilien im Ort, die aktuell ihre Besitzer gewechselt haben. Zeitungsinseraten sei nur eine „Wunschvorstellung“ zu entnehmen. Für welche Summe tatsächlich verkauft wird, bleibe meistens unbekannt. Selten wird den Schätzern ein Kaufpreis genannt, anhand dessen sie sich orientieren können.
900 Euro werde im Neubauviertel pro unbebautem Quadratmeter berappt, in der Ortsmitte und im ehemaligen Industriegebiet an der Kolpingstraße waren es 480. Das ehemals reine Gewerbegelände erlaubte erst den Familien der Firmen das Wohnen, schildert Binge, jetzt stehe es als Mischgebiet jedem offen. Die niedrige Bewertung, die auf dem Geoportal Hessen im Internet notiert sei, „ist nicht mehr in Ordnung“.
Schon zur Jahrtausendwende wurde der Freiberufler von der Stadtverordneten-Versammlung als Schöffe auserkoren und vom Amtsgericht vereidigt, obwohl der Lämmerspieler keiner Partei angehört. 2010 übernahm er den Posten des Vorstehers. An der Verwaltungshochschule Darmstadt absolvierte er ein Seminar, dabei ging es auch um die Unterschiede bei der Nutzbarkeit von Gebäuden.
„Oft berechnen wir den Wert nach dem umbauten Raum oder nach dem Mietertrag.“ Dabei müssen auch Rücklagen zur Instandhaltung oder ein Nießbrauch berücksichtigt werden, erläutert der Fachmann. „Wir versuchen meistens, eine Mischkalkulation zu erstellen.“ Die vereidigten Laien dürfen nur auf Antrag und nur im Stadtteil schätzen, ihr Urteil ist außer beim Verkauf auch vor dem Vererben oder Verschenken gefragt.
Zu den Aufgaben der Schöffen zählen auch öffentliche Beglaubigungen von Unterschriften und Kopien. „Das darf nur die Behörde, die das Original erstellt hat, das Ortsgericht und ein Notar“, lehrt der Sprecher. Bis zu drei Seiten kosten beim Ortsgericht drei Euro Festpreis. Hinzu kommen „ganz viele Anträge zur Löschung im Grundbuch“ – macht sechs Euro.
Binge rät zudem zu Patientenverfügung, Vorsorge- und Generalvollmacht. Ein beglaubigtes Papier sei im Rechtsverkehr verlässlicher, vor allem bei Banken gebe es oft Ärger, Angehörigen verstorbener Kunden werde so der (kostspielige) Weg zum Anwalt aufgezwungen. Übernehmen können sie ferner Sterbefallanzeigen und Erbausschlagungen, wenn ein Nachlass nicht angenommen wird, weil er Schulden umfasst. Können keine Verwandten gefunden werden, sichern sie in der Wohnung des oder der Verstorbenen Bargeld, Schmuck und Edelmetalle sowie Papiere, die auf Erben hinweisen, aber grundsätzlich zu zweit. „Bei größeren Werten müssen wir die Wohnung versiegeln“, immer ein Protokoll fürs Nachlassgericht anfertigen. Insgesamt hält Michael Binge knapp 200 Vorgänge pro Jahr im Tagebuch fest. (Michael Prochnow)
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