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Friedrich-Ebert-Gymnasiasten referierten über den brutalen Alltag im Kreiserziehungsheim

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Von: Stefan Mangold

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Grausame Erziehungsmethoden: Die Schüler Jialing Cheng, Adham El-Essaasi, Sahar Hussaini, Nikolas Mihai, Analena Rufino de Sousa, und Chiara Seigerth berichten über die Zustände im Kreiserziehungsheim.
Grausame Erziehungsmethoden: Die Schüler Jialing Cheng, Adham El-Essaasi, Sahar Hussaini, Nikolas Mihai, Analena Rufino de Sousa, und Chiara Seigerth berichten über die Zustände im Kreiserziehungsheim. © Mangold

Bis in die 1960er Jahre gehörte das Schlagen von Kindern zum anerkannten Erziehungsrepertoire, auch in gutbürgerlichen Häusern. Frank Zimmermann, im Alltag Manager bei der Lufthansa, recherchierte über die selbst für damalige Verhältnisse erschreckenden Zustände im Mühlheimer Kreiserziehungsheim an der Offenbacher Straße.

Mühlheim – In das Gebäude zog 1952 die Hessische Polizeischule ein. In Zusammenarbeit mit dem Geschichtsverein referierten Oberstufenschüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums anhand eines Interviews mit Zeitzeugen über das Leben hinter dem Anstaltszaun während des Nationalsozialismus.

„Man lernt am besten, wenn es mit einem selbst zu tun hat, wenn man als Jugendlicher über Jugendliche forscht“, betont der Schulleiter Stefan Sturm zur Begrüßung. Mit Michael Schmidt und David Horn betreuten neben Frank Zimmermann auch zwei Pädagogen die Referenten, die ein bewegendes Zeugnis der Zeit darlegten.

„Erzieher, die Methoden und Vorschriften an Jungen und Mädchen grausam umsetzten“: So beschreibt Karl-Heinz Stier, der Vorsitzende des Geschichtsvereins, die dort tätigen Personen. Als Schlüsselfigur gilt Hans Hoffmann, nach dem Krieg langjähriger Pfarrer in Rumpenheim. Der Mann soll glänzend gepredigt haben, genoss den Ruf eines Natur- und Menschenfreunds. Ein Mensch, der scheinbar keiner Fliege Leid zufügen konnte.

Für drei Jahre hatten die Amerikaner den überzeugten NS-Mann inhaftiert. Was Zimmermann erzählt, das zeigt einmal mehr: Moralische Wertung lässt sich vom Zeitgeist nicht trennen. Über Hoffmann habe er mit dem Autor des 2006 erschienenen Buchs „Rumpenheim und Waldheim: Lebendige Stadtteile von Offenbach am Main“ gesprochen, ihm von seinen Recherchen erzählt, dem brutalem Regiment, das Hoffmann im Kreiserziehungsheim führte, dem der 1973 im Alter von 75 Jahren verstorbene Geistliche von 1924 bis 1945 vorgestanden hatte. „Das wusste ich“, habe der Autor erklärt. „Das wussten alle.“ Im Buch steht davon nichts. Hans C. Schneider, einst Lehrer auf dem FEG, interviewte vor Jahren Arnold Schuh und einen Mann, der August heißt – zwei ehemalige Zöglinge des Heims.

Auf dem Programm der Anstalt stand auch Fußball. Die Mannschaften mischten sich aus Schülern und Angestellten. Einmal wagte es ein Bub, gegen das Team ein Tor zu schießen, in dem einer der besonders brutalen Lehrer kickte. Nach dem Treffer boxte der Ausbilder und Schustermeister Grimm dem Schützen aus Rache derart in die Magengrube, „dass der zehn Minuten bewusstlos am Boden lag“. Die Tat habe für den Mann keinerlei Konsequenzen gehabt, berichten die FEG-Schüler.

Arnold Schuh erwähnt, ein eher sensibler Charakter zu sein. „Es wurde bekannt, dass ich etwas weich bin.“ Um ihn „abzuhärten“, musste er bei der Strafe zugegen sein, die ein ausgerissener Junge erleiden musste, den man wieder eingefangen hatte. Zwei Zöglinge hielten den an den Füßen Gefesselten an den Händen fest. Er lag mit runter gelassener Hose mit dem Gesäß nach oben auf dem Tisch, Schustermeister Grimm prügelte auf ihn ein.

In Mühlheim drohten Eltern ihren Kindern: „Wenn du dich nicht benimmst, kommst du ins Kreiserziehungsheim.“ Dort wiederum schwebte über allen die Angst, „sonst kommst du auf den Klotz“. Der „Klotz“ bedeutete die Sterilisation.

Im Interview berichtet Arnold Schuh, wie er im Heim eine Lehre zum Schneider absolvierte. Der Schulunterricht habe sich durch ein bescheidenes Niveau ausgezeichnet: „Mal erschien der Lehrer, mal auch nicht.“

Vor der Gesellenprüfung bekam Schuh gesagt, „wenn du durchfällst, kommst du auf den Klotz“. Der Junge wusste, eine hohle Drohung war das nicht. Vor der Prüfungskommission in Offenbach fühlte er sich offensichtlich, als habe er nichts mehr zu verlieren. „Wenn ich durch die Theorie falle, unterzeichnen Sie mein Todesurteil.“ Er habe geplant, sich das Leben zu nehmen, statt auf den Klotz zu steigen. „Die verhielten sich menschlich und gaben mir eine Drei.“

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