„Ist unersetzbar“: Mühlheimer Behindertenverein löst sich auf

Wegen Betreuermangel muss sich der Behindertenverein „Moment Mal!“ auflösen und hinterlässt damit in Mühlheim ein tiefes Loch.
Mühlheim – Morgens alleine aus dem Bett steigen, einfache Arbeiten im Haus erledigen oder sich mit Freunden treffen: Was für die meisten Menschen ganz selbstverständlich ist, kann für Personen mit Behinderung schnell zu unüberwindbaren Herausforderungen werden.
Genau hier haben die Verantwortlichen des Vereins „Moment Mal!“ mit ihren Angeboten angesetzt, den körperlich und geistig eingeschränkten Teilnehmern die Möglichkeit geboten, Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen und dabei ein Stück Normalität zu erleben. Ob Bastelstunden im Jugendzentrum, gemeinsames Kochen oder Ausflüge in den Zoo: Die wöchentlichen Treffen hatten stets einiges zu bieten.
Doch damit ist jetzt Schluss. Der Verein, der Ende der 70er-Jahre von betroffenen Eltern als Mühlheimer Behindertengruppe gegründet wurde, löst sich auf. Hauptgrund ist ein Mangel an Personal. Von ehemals sechs Betreuern sei inzwischen nur noch eine entsprechend ausgebildete Fachkraft übrig – deutlich zu wenig, um Gruppenstunden und Ausflüge zu organisieren.
Auflösung von „Moment Mal!“ in Mühlheim: Vereinszweck nicht mehr erfüllbar
„Bei vielen hat sich über die Jahre einfach die Lebensrealität verändert, einige sind weggezogen, haben Kinder bekommen oder müssen anderen Verpflichtungen nachkommen“, erläutert der nun ehemalige Vorsitzende Joachim Hentschel. Jegliche Bemühungen der Verantwortlichen, neue Betreuer für die Arbeit bei „Moment Mal!“ zu begeistern und somit die Auflösung abzuwenden, seien fehlgeschlagen.
„So konnten wir unseren Vereinszweck schlichtweg nicht mehr erfüllen“, berichtet der 52-Jährige zerknirscht und ergänzt: „Es wäre nicht bloß um ein Ehrenamt gegangen, sondern um eine bezahlte Tätigkeit.“ Die hierfür nötigen finanziellen Mittel hätte der Verein ohne Probleme aufbringen können.
Warum also hat sich niemand gefunden? Hentschel, der seinen Posten im Vorstand 2017 übernommen hatte, sieht dafür vor allem den Faktor Zeit verantwortlich. „Viele Menschen sind heutzutage sehr mit sich selbst beschäftigt, müssen schauen, dass sie über die Runden kommen und an ihrer Zukunft feilen“, stellt er eine Theorie auf. Hinzu käme der generelle Mangel an Pflege- und Betreuungspersonal. „Wir hätten für diese Aufgabe nämlich jemanden benötigt, der fachlich fundierte Kenntnisse im Bereich der Sozialpädagogik mitbringt.“
Und so führt schließlich kein Weg mehr an der Auflösung vorbei. Mitte letzten Monats fassen die zehn verbliebenen Mitglieder bei ihrer letzten Versammlung schweren Herzens den Entschluss, der laut Hentschel durchaus für betroffene Gesichter gesorgt hat. „Es gab Mitglieder, die trotz großem Verständnis Tränen in den Augen hatten.“
Wegen Betreuermangel aufgelöst: Verein hinterlässt tiefes Loch in Mühlheim
Mit seiner Auflösung hinterlasse der Verein nun ein tiefes Loch in der Mühlenstadt, das so schnell nicht wieder auszufüllen sei. „Was wir geboten haben, war wirklich einzigartig und ist meiner Meinung nach aktuell nicht zu ersetzen“, betont der frühere Verantwortliche.
Neben der Förderung von Menschen mit Behinderung stand bei „Moment Mal!“ auch die Entlastung von Eltern und Familienmitgliedern im Fokus, kostet die Betreuung von eingeschränkten Personen doch tagtäglich ein hohes Maß an Energie. „Wir wollten den Angehörigen damit die Chance geben, mal ein Wochenende für sich zu haben und die Reserven aufzuladen“, sagt der 52-Jährige.
Immerhin: Eine letztes Highlight steht der Gruppe noch bevor, im Sommer plant der Verein eine große Abschlussfahrt nach Hamburg. „Es sind schon alle ganz aufgeregt deshalb – das wird bestimmt ein schöner Abschluss“, sagt Joachim Hentschel mit Blick nach vorn. (Jan Lucas Frenger)