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Mühlheim: Unterwegs in der „Kahl Schluch“

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Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge, die in der Pogromnacht zerstört wurde.
Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge, die in der Pogromnacht zerstört wurde. © Prochnow, Michael

Babbel-Rundgang des Geschichtsvereins durch Mühlheims alte Gassen

Mühlheim – Das heutige Stadtmuseum ist ein gutes Anschauungsobjekt für Veränderungen im Stadtbild. Zu diesem Thema begrüßten Albert Dewald und Gerda Brinkmann vom Geschichtsverein am Samstag knapp 20 Interessierte zum jüngsten Babbel-Rundgang. Er führte durch die „Kahl Schluch“, das Neubaugebiet von 1900 südlich der Offenbacher Straße. Treffpunkt war am „Goldenen Engel“.

Das wuchtige, hoch aufragende Gebäude vor dem DRK-Seniorenzentrum hat ein 20-jähriger Bauherr errichtet. Seine Frau war zehn Jahre älter und verfügte über stattliche Mittel – ein Schelm, der Böses über diese Ehe denkt, findet die Stadtführerin. Schon der Vater von Peter Kaiser war Gastwirt, und die Straße von Nürnberg nach Frankfurt war eine gute Lage. „An der Kreuzung mit dem Weg nach Rumpenheim zur Fähre gab’s gutes Essen, eine gute Herberge und gute Geschäfte“, zitiert die Lehrerin die Chronik.

Das Paar sei früh verstorben, hinterließ drei Kinder: Die Tochter machte wiederum eine gute Partie und heiratete den Bürgermeister. Der erste Sohn wurde Bischof zu Mainz und verkaufte das Anwesen zugunsten seines jüngeren Bruders, der wegen einer Behinderung der Fürsorge eines Heims bedurfte. Die Gemeinde richtete zunächst Schulräume und eine Lehrerwohnung ein, später das Rathaus. Bürgermeister Anton Dey ließ das Haus wegen Rissen im Fundament nach dem Krieg neu errichten.

Schwarzweiß-Fotos machen die Runde. Das Gasthaus vom Rupp-Richard gegenüber war auch die Post. Gerda Brinkmann weiß noch genau, wie sie als Kinder in der Küche ein- und ausgingen. „Der Richard war sehr großzügig, legte extra Kraut zu den Portionen, die Ehefrau war schon genauer …“.

Am Haus vom Fräulein Stenger seien sie stets geduckt unter den Fenstern vorbei gegangen, „die Lehrerin war etwas schwierig“, formuliert die Pädagogin. Und in der Wagnerei vom alten Gottbehüt an der Spinatgasse hockten die Hühner vorm Herd, der Boden war übersät von Hobelspänen und Sägemehl. „Aber die Werkstatt lag günstig, nahe der Mühlen.“ Die Bauern konnten also während des Kornmahlens ihren Wagen reparieren lassen.

„Wir waren acht Leute in der Familie und hatten ein Herrenfahrrad, das gehörte dem Opa“, verglich ein Herr im elektrischen Rollstuhl die Ausstattung damals mit der heutigen Situation: „Drei Personen, und jeder hat ein Auto vor der Tür stehen!“ Eine gute Atmosphäre herrschte bei den Babbschern. „In der Küche wurden Kartoffeln geschält, gekocht, Suppe geschlürft, Witze erzählt und getratscht“, erinnerte Brinkmann an Szenen wie aus einem alten Bilderbuch.

In der zerstörten Synagoge an der Spinatgasse spielten sie als Kinder Kasperltheater, bis der Zöller-August den Gebetsraum als Lager nutzte. Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel an den Mittelpunkt der kleinen jüdischen Gemeinde.

„In diesem Haus hat der Mann seine Frau in einen Bettvorleger gewickelt und aus dem Fenster geworfen“, erzählt Brinkmann Verbürgtes. „Es ist ihr aber nix passiert!“ Auf der anderen Seite der Trachstraße, kurz vor der Brückenmühle, war im Hinterhaus eine Schuhfabrik untergebracht, obendrüber eine Badeanstalt, genauer: Wannen für Nachbarn, die über kein Badezimmer verfügten. Das galt für die meisten, weswegen die Badezeit auch streng limitiert war.

Sonntags kamen ganze Schulklassen, selbst Angehörige der US-amerikanischen Streitkräfte hätten sich dort gereinigt. Im Untergeschoss befand sich eine Wäscherei – allerdings nicht mit Maschinen: Mit der Hand wurde an Brettern geschrubbt! Zuletzt haben sie dort Danziger Goldwasser abgefüllt, den Klaren mit echten Goldblättchen am Flaschenboden. Über die resolute letzte Müllerin, Antonie Krebs, tauschte die Runde allerlei Anekdoten aus, geschafft habe sie „wie ein Mann“.

Stadtführerin Gerda Brinkmann zeigte während des Babbel-Rundgangs historische Aufnahmen von Gebäuden. So konnte man sich bei dem Spaziergang ein Bild davon machen, wie es in Mühlheim früher aussah.
Stadtführerin Gerda Brinkmann zeigte während des Babbel-Rundgangs historische Aufnahmen von Gebäuden. So konnte man sich bei dem Spaziergang ein Bild davon machen, wie es in Mühlheim früher aussah. © prochnow

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