„Urbane Entwicklung verschlafen“: Grünen-Duo geht hart mit Mühlheimer Politik ins Gericht
Die Folgen des Klimawandels werden auch in Mühlheim am Main immer deutlicher sichtbar. Darüber sprechen zwei Grünen-Politiker im Sommergespräch.
Mühlheim – Waldbrände, ausgetrocknete Flüsse, abschmelzende Gletscher: Die Menschen bekommen die Auswirkungen des Klimawandels vor Augen geführt. Klar, dass die sich verändernde Umwelt beim Sommergespräch mit dem Grünen-Duo Eva Jakob und Tim Rieth im Mittelpunkt steht. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende Jakob und ihr Nachfolger Rieth – der zusammen mit Lasse Westphal eine gleichberechtigte Doppelspitze in der Bündnisgrünen-Fraktion bildet –, sprechen zudem über den Haushaltsstreit, die Stadtentwicklung, die Zusammenarbeit in der Allianz für Mühlheim (CDU, Grüne, Bürger für Mühlheim, FDP) und die anstehende Bürgermeisterwahl am 12. März 2023.
Für Rieth und Jakob ist es die erste Legislatur. Was sie eint, sei auch der Kitt der Allianz: die Unzufriedenheit über die Stadtentwicklung. Jakob schildert, wie die baulichen Veränderungen in der Stadt sie in die Politik getrieben haben. Sie habe sich gefragt: „Immer mehr modulares und von Investoren gesteuertes Bauen – ist das, was sich junge Mühlheimer vorstellen?“ Nicht die Stadt, sondern Investoren hätten in der Vergangenheit gestaltet, meint Rieth und fordert, „die Stadt neu zu denken“.

Kritik der Grünen: Mühlheim hat urbane Entwicklung verschlafen
Mühlheim habe verschlafen, sich mit der urbanen Entwicklung auseinanderzusetzen, etwa Versickerungsflächen, oder Dachentwässerung, Fotovoltaik oder Wärmespeicher bei Bauvorhaben eingeplant zu haben. Jakob meint, in der Stadt sei im vergangenen Jahrzehnt nicht konsequent nachhaltig geplant worden. Daher habe man in der Allianz das Stadtentwicklungskonzept auf den Weg gebracht.
Etwa die Hitze sei nicht mehr wegzudiskutieren, sagt Jakob. Es gehe nun darum, mehr Schatten in die Stadt zu bekommen. Auch der Verkehr müsse sich radikal ändern. „Es geht uns um Lebensqualität“, betont Rieth und bringt Baumpatenschaften ins Spiel. Der Politikwissenschaftstudent plädiert dafür, Bürgern die Möglichkeit zu geben, „in der Stadt etwas fürs Gemeinwohl zu tun“.
Grünen-Politiker Rieth: „Mühlheim wird nicht mehr lange grün sein“
Er könne sich an keinen so heißen Sommer in der Mühlenstadt erinnern. „Mühlheim wird nicht mehr lange grün sein“, mutmaßt er und meint damit nicht die politische Farbe, sondern die im Kreis Offenbach einzigartige Natur, in die die Stadt eingebettet ist. Er weiß: „Wir können in Mühlheim die Klimakrise nicht stoppen, wir können uns aber anpassen und unseren Beitrag leisten.“ Jakob pflichtet ihm bei: „Die Zeit ist überreif, wir müssen jetzt mehr machen denn je.“
Die Politik müsse die Richtung vorgeben, zusammen mit der Stadt mit gutem Beispiel vorangehen und dabei nicht den sozialen Auftrag vernachlässigen, da sind sich beide einig. „Dass es immer noch städtische Gebäude ohne Solaranlage gibt, kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Jakob. Eigentlich müsse die Kommune „viel progressiver in diesen Dingen vorgehen“.
Dass Mühlheim auf Initiative der Grünen im vergangenen Jahr Klimakommune geworden ist, habe allerdings bislang noch keine Früchte getragen. „Eine CO2- und Energiebilanz muss her, die wurde noch nicht erstellt, da gehen uns Fördergelder verloren.“ Es fehle entweder an Personal oder an Prioritäten, vermutet der 25-jährige Politikwissenschaftstudent.
Grüne in Mühlheim bemängeln Klimapolitik und Kommunikation des Bürgermeisters
Überhaupt hänge momentan viel in der Schwebe. Jakob fordert von Bürgermeister Daniel Tybussek (SPD), „die Karten auf den Tisch zu legen, ob er sich zur Wiederwahl aufstellt“. Die Allianz habe schließlich einen Arbeitsauftrag von den Bürgern und der Stillstand „ist nicht von uns gemacht, sondern provoziert“, meint die 50-Jährige. Rieth mutmaßt: „Das Bürgermeisteramt wird nicht immer überparteilich ausgeübt.“ Ex-Fraktionschefin Jakob sagt: „Er ist gewählt, er wird bezahlt, er hat einen ganzen Stab, der für ihn arbeitet – es wäre schön, wenn er aus dem Quark kommt.“
Der Allianz nur Vorwürfe zu machen, bringe nichts, meint Jakob auch im Hinblick auf den Streit zwischen Allianz und Rathauschef um den immer noch nicht genehmigten Etat fürs laufende Jahr. Die beiden bemängeln, um Informationen aus dem Rathaus kämpfen zu müssen: „Wir bekommen viele Informationen nicht vom Bürgermeister direkt, sondern aus der Zeitung.“ Jakob wünscht sich „mehr Transparenz, damit man das Haushaltssicherungskonzept aufstellen kann“. Rieth fordert „keine Schuldzuweisungen, sondern Lösungen“.
Bei der Beurteilung der Arbeit von Tansania sind sich beide einig: Die Allianz funktioniert. Nach einem ruckeligen Beginn habe man einen „guten Arbeitsstil“ entwickelt. „Wir ergänzen uns in Schwerpunkten“, sagt Jakob, die aus privaten Gründen den Fraktionsvorsitz abgegeben hatte (wir berichteten). Die Bilanz der Grünen im ersten Jahr der Legislatur, finden beide, könne sich sehen lassen. Das Duo schreibt den Grünen unter anderem die Klimawirkungsprüfung, den Antidiskriminierungsbeauftragten, das nun jährlich stattfindende Stadtradeln, den neu geschaffenen Umweltausschuss und die Ernennung Mühlheims zum „Sicheren Hafen“ auf die Fahne. (Ronny Paul)