Der Verein, der keiner sein wollte

Mühlheim - Das Sommerfest der Mellseewiesen-Kleingärtner ist längst ein Fixstern am weiten Veranstaltungsfirmament des Städtchens. Diesmal feiert der Verein seinen 25. Geburtstag. Wobei der eigentlich auf eine falsche Fährte führt. Von Stefan Mangold
Denn die Gemeinschaft gibt’s schon sehr viel länger. Es findet sich nicht von selbst, das Areal des Kleingartenvereins „In den Mellseewiesen“. Von den Gleisen aus irgendwo Richtung Süden und dann links ab. Die genaue Postadresse lautet „Lämmerspieler Weg 100“.
Normalerweise begehen Kleingartenvereine Jubiläen, die eine weit längere Zeit umspannen als die Jahre, die ein Ehepaar bis zu Silbernen Hochzeit braucht. Und auch die Dietesheimer Kleingärtner, die gerade 25 Jahre Vereinsdasein feiern, pflanzten erste Endivien und Rhododendren nicht erst vor einem Vierteljahrhundert an, sondern bereits 1928.
Damals war Dietesheim noch selbstständig. „Der Bürgermeister hieß Silvester Heinz“, erzählt Willi Viet (84). Der langjährige Vorsitzende der Mellseewiesen-Gärtner gilt als personifiziertes Gedächtnis des Vereins. Der Bürgermeister gab weiland auf dem kurzen Dienstweg die Erlaubnis zum Bepflanzen von Parzellen, wo sich auf der Gemarkung Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Zehn Diestesheimer bekamen vom Flurschütz ihre Grundstücke vermessen.
Ende der 1920er galt der Besitz von einem Kleingarten noch lange nicht als Hobby. Bis Anfang der 70er hielten die meisten Bewohner auf solchen Arealen etwa Hühner. Gärten dienten nicht der Rosenzüchtung, sondern der eigenen Versorgung. „Ein wesentlich höherer Anteil des Einkommens als heute ging für Lebensmittel drauf“, erinnert sich Fritz Ihl an seine Kindheit. Der 70-Jährige trat als Vorsitzender die Nachfolge von Willi Viet an.
Wenn sich Damen regelmäßig zum Bridge oder Canasta treffen, besteht kein Grund, deshalb gleich einen Verein mit allen gesetzlichen Vorschriften und Auflagen zu gründen. Das empfiehlt sich nur, wenn sich eine Interessengemeinschaft nach außen positionieren muss. Darauf konnten auch die Dietesheimer Gärtner in ihren ersten 75 Jahren gut verzichten.
Willi Viet erinnert an den Beginn der 90er Jahre. Der Gesetzgeber verlangte zu dieser Zeit, dass Gemeinden die Flächen für Kleingärten allesamt genau auszeichnen. Nicht sämtliche Protagonisten Mühlheimer Politik seien den Kleingärtnern von den Mellseewiesen da gewogen gewesen. Massiven Gegenwind habe es gegeben, bis zur Aufforderung, die Hütten abzureißen und das Gelände zu verlassen. Die Begründung: „Ihr passt nicht in die Landschaft, außerdem verwendet ihr zu viel Dünger.“ Letztererem setzte Viet entgegen: „Was wir pflanzen, essen wir.“ Und niemand habe vor, sich zu vergiften. Der erste Vorwurf habe nach Willkür gerochen, schon weil viele Parlamentarier das Gebiet gar nicht gekannt hätten.
„Den meisten von uns drohte damals ein Stück Heimat wegzubrechen“, betont der Vize-Vorsitzende Horst Piroth, der hier ebenso die Kindheit verbrachte wie Viet und Ihl. „Bei Interesse erben die Kinder den Pachtvertrag ihrer Eltern“, erklärt Kassenwartin Linda Piroth die Verbundenheit über Generationen hinweg.
Um die Verträge vom Gewohnheitsrecht auf einklagbare Grundlagen zu stellen, gründeten die Gärtner 1993 dann doch noch ihren Verein. Für den Bebauungsplan mussten sie die Zustimmung von 32 Institutionen einholen. Manches wirkte da skurril. „Der Fischereichverband etwa musste Ja sagen“, lacht Willi Viet. Der Main liegt anderthalb Kilometer weit weg.
Die Vereinsgründung stellte sich schließlich als Glücksfall heraus. Seit damals organisieren die als MSW firmierenden Mellsewiesler jeden August das glänzend besuchte Sommerfest, aus dessen Erlös sich das Clubhaus und die sonstige Infrastruktur zum großen Teil finanzieren lässt. Willi Viet resümiert die Zeit der politischen Scharmützel: „Die Sturheit der Dietesheimer hatte mancher unterschätzt.“
Das Sommerfest beginnt am Samstag, 4. August, um 15 Uhr. Alleinunterhalter „Holger M“ kommt um 17 Uhr. Am Sonntag, 5. August, ist um 10 Uhr Start.