Lämmerspieler Ehepaar nimmt Ukraine-Flüchtlinge auf

Bei Schwerzels kommt jetzt öfter gebratenes Fleisch zu Bratkartoffel und geschmorten Kohl auf den Tisch. Oder Salat mit Sauerkraut. „Sehr lecker!“, empfiehlt der Hausherr die ukrainische Spezialität.
Mühlheim – Bernd und Martina Schwerzel gehören zu den ersten Mühlheimern, die Kriegsflüchtlinge aufgenommen haben. Bei den Lämmerspielern leben nun die 62-jährige Alla, Tochter Kateryna und deren 13 und fünf Jahre alten Jungs Artem und Tymur – und gehören schon zur Familie.
Die Vier kommen aus der Stadt Dnipro, eine Stadt am Ufer des Dnepr-Stroms mit fast einer Million Einwohner – vor dem Krieg. Bis dahin arbeitet Alla in der Cafeteria eines Supermarkts, Friseurin Kateryna bedient nach ihrem Job in einem Salon an der Kasse einer Tankstelle. Nun sitzen die beiden Frauen bei Schwerzels auf der Terrasse, mit Handys in der Hand.
„Das klappt sehr gut“, resümieren die Schwerzels. Ein Programm zeigt die gesprochenen Worte auf Deutsch oder in kyrillischen Schriftzeichen und im nächsten Moment die Übersetzung. Die lässt sich die Runde am Tisch von der App auf dem Telefon vorlesen. Tymur hat gerade Radfahren gelernt, nun gießt er aber lieber die Kräuter und Gemüse im Garten.
Sein Vater und sein Onkel mussten in der Heimat bleiben. Abends telefonieren sie mit den Männern, ihnen geht es soweit gut. Die Sirenen von Dnipro alarmieren jedoch auch die Frauen in der Ferne, fast stündlich erhalten sie die Warnungen auf ihren Smartphones. Und kaum ist ein Getreidelager bombardiert, erreicht sie ein Video, in dem schwarzer Rauch die Sicht beeinträchtigt.
Alla verlässt Dnipro zuerst. Kateryna zögert auch nicht lange, als die Bombardements beginnen. Die Bahn, die sie für ihre Flucht nehmen muss, fährt ausschließlich nachts und ohne Licht. Zwischendurch müssen sie sich im Wald verstecken, berichtet Kateryna.
Zu Schwerzels gelangen sie durch den Hilfstransport eines Bieberer Unternehmers. Er nimmt auf dem Rückweg Geflüchtete mit, die Lämmerspieler haben sich bereit erklärt, vier Personen aufzunehmen. Als Ruheständler bewältigen sie den Gang durch den Behördendschungel, wundern sich aber, dass die Ämter mit den Erfahrungen aus den vergangenen Jahren nicht vorbereitet sind.
Das Quartett erhält Geld- und Sachspenden, samstags steht ein Korb mit frischem Obst vor dem Apartment. Mit den Gastgebern grillen sie, kochen Spezialitäten ihrer Heimat, gehen zu Fuß zu einem russischen Supermarkt nach Obertshausen oder auch mit den Familien der Schwerzel-Töchter einkaufen. Sie lernen mit einer Nachbarin zweimal pro Woche Deutsch und besuchten schon Fasanerie, Feuerwehr und den Grünen See. (Michael Prochnow)