Obwohl es der „Circus Alberti“ , zu Gast in Mühlheim, selbst schwer hat, hilft er einer Ukrainerin

Manchmal kommt es knüppeldick. Aber manche machen selbst dann noch das Beste aus der Situation. Und helfen Menschen, denen das Schicksal noch übler mitspielt. Die Franks vom Circus Alberti, der noch bis zum Wochenende auf dem Festplatz an der Willy-Brandt-Halle gastiert, zählt zu dieser Gruppe. In der 9. Generation fühlt sich die Familie der Tradition verpflichtet, aber das Auskommen war schon vor Corona schwer.
Mühlheim – Durch die Pandemie kamen sie bislang nur dank privater Hilfe. Und die leisten sie jetzt einer jungen Frau aus der Ukraine.
Mineri ist 23 Jahre alt, Lehrerin und aus Charkiw geflohen. Die Stadt liegt östlich von Kiew, also im Schussfeld der russischen Angreifer, und bevor Mineri mit ihrer Mutter telefoniert, weiß sie nie, ob ihr Haus überhaupt noch steht. In ihrer Heimat hat die Pädagogin im Showballett eines Zirkus getanzt, ist unter der Kuppel „geflogen“, hat an Ringen und mit Gymnastik-Übungen das Publikum begeistert.
Im Alberti kann sie das nicht. Dort führt sie ein Kamel beim Kinderreiten, packt mit an, wo immer eine helfende Hand gebraucht wird. „Ich kann mich nicht auf einen Auftritt konzentrieren“, erklärt sie auf Englisch, Kopf und Herz seien daheim in der Ukraine. Und der Krieg werde für viele Jahre bleiben, schätzt sie. Der hiesigen Bevölkerung sei sie sehr dankbar. „Ich fühle mich bei der Familie Frank wie in meiner eigenen“, sagt sie. Viele Westeuropäer unterstützten ihre Landsleute materiell und mit viel Herz.
Familienzirkus in den 1920er Jahren gegründet
Die Zirkus-Dynastie stammt aus der Region Alzey-Worms und wurde in den 1920er Jahren gegründet. Am Anfang waren es noch Feuerspucker und Jongleure, sie sind mit Pferd und Wagen durch die Lande gezogen, später hatten sie Lastwagen, Planen und eine Heizung. Heute leben sie zu sechst in modernen Wohn-Anhängern, zeigt Direktor Roberto Frank.
Zum Team gehören Senior Alfred, der mit seinen 83 Lenzen noch tüchtig mitarbeitet, Robertos Bruder Harry und Ehefrau Nadja sowie die Kinder Brandon (16), Samantha (13) und „Nesthäkchen“ John. Der Vierjährige erheitert die Zuschauer als tollpatschiger Clown, während sein Bruder mit der Nummer „Rola-Rola“ auf Rollen balanciert. Die Schwester schwingt einen ganzen Stapel Hula-Hoop-Reifen.
„Ich schreibe 40 Rathäuser an – drei Kommunen stellen uns einen Platz zur Verfügung“, schildert Roberto. Dann müssen sie Werbeplakate drucken lassen, Handzettel verteilen, Strom und Wasser anschließen, Haupt- und Tierzelt aufbauen. Letzteres hat der Sturm aufgerissen, jetzt suchen sie händeringend Sponsoren, um eine neue Unterkunft kaufen zu können.
Die Friesenhengste, Ponys und Hunde, der Esel und das Lama werden artgerecht gehalten, bestätigten die Veterinäre immer wieder, informiert der Chef stolz. „Die Leute wollen Tiere sehen.“ Schwierig war das allerdings, als dem Familienunternehmen mit den Corona-Auflagen die Grundlage für den Lebensunterhalt von Mensch und Tier entzogen wurde. „Geld vom Staat gab’s für uns nicht mehr, es war die Bevölkerung, die uns mit Spenden gehalten hat.“
Das war in Bad Winzheim bei Würzburg, wo die Franks neun Monate ausharren mussten. Beim ersten Lockdown saßen sie ein halbes Jahr im bayerischen Feuchtwangen fest. Über Crailsheim, Buchen, Elsenfeld am Main und Wiesbaden-Freudenberg ging es nach Hofheim, Bingen und wieder in die Landeshauptstadt. Für ihren neunten Weihnachtszirkus durften sie unter großen Auflagen ihr 4000-Personen-Zelt aufrichten und internationale, preisgekrönte Artisten präsentieren. „Das ist immer eine komplett neue und ausverkaufte Show“, beschreibt Frank stolz.
Die Familie wuppt die Firma ohne Angestellte. „Wir kennen es nicht anders, wir sind so groß geworden“, schildert der Zirkusdirektor. „Und wir scheuen uns nicht vor der Arbeit“, fügt er hinzu und erklärt seine Motivation mit dem „freien Leben“. Aber, „du musst dafür geboren sein.“ (Michael Prochnow)
