Antikriegslied im Kaisersaal-Kino Münster

„They came with tanks und cannonballs. They were young, they were so shy“, singt Dieter Müller-Herzing. Der Mann aus Münster hat das Lied für die Ukraine komponiert und getextet – und so seinem Entsetzen und seiner Fassungslosigkeit über den plötzlich in Europa herrschenden Krieg Luft gemacht.
Münster - In „A Virgin Day in February“ („Ein unschuldiger Tag im Februar“) kamen Soldaten mit Panzern und Kanonen in das kleinere Nachbarland, heißt es darin auf Englisch. Sie waren jung und schüchtern und wurden in den Kampf geschickt und dabei nach Strich und Faden von Monster Putin belogen. „They had to move on when the monster calls. They were slaves of lie.“
Müller-Herzing spricht damit vielen Menschen aus dem Herzen. Seit Anfang März bringt er als Betreiber des Kinos Kaisersaal-Lichtspiele in Münster einen 2:40-Minuten langen Videoclip zu seinem Song. Bei jeder Abendfilmvorführung im Vorprogramm. Lauter positives Feedback erreichte ihn dafür bisher. Etliche Besucher schrieben im Nachhinein zustimmende E-Mails, an die Tausend riefen es auf Youtube auf, und vergangenen Mittwoch vor dem Roadmovie „Nomadland“ gab es sogar spontanen Applaus im Saal. Ein „Gänsehautmoment“ für den 60-jährigen Musiker, der der Kino-Mann außerdem ist.
Die Idee zum Lied hatte ihren Anfang ebenfalls im Münsterer Kino. An dem Mittwoch, an dem es den deutschlandweiten Aufruf „Licht aus, wenn Glocken läuten“ gab, genau genommen. Es war der erste Mittwoch im März und damit einer von zwei monatlichen Special-Days mit Drei-Gänge-Menü vorm Film. Müller-Herzing und Ehefrau Bettina wollten sich solidarisch zeigen und nur noch Kerzen scheinen lassen. „Was können wir sonst noch tun?“, fragten sich die alteingesessenen Kinobetreiber in dritter Generation. Geschwind unterlegte Musikfreund Dieter – seines Zeichens Keyboarder der Rolling Stones-Coverband „Glitter Twins“ – seine zehn Jahre alten Urlaubsbilder von Kiew mit den leisen Tönen von John Lennons „Imagine“ und präsentierte alles zusammen dem Kinopublikum als „Schönheit Kiews, solange sie noch besteht“.
Am nächsten Tag schickte er das Machwerk Kumpel und Saxofonist Achim Farr aus Frankfurt, der meinte: „Da müssen wir doch was Eigenes machen.“ Gesagt, musiziert: Müller-Herzing setzte sich hin und kreierte bei sich im Tonstudio hinterm Kino an der Darmstädter Straße seinen ganz persönlichen Ukraine-Song. Freitagmorgen konnte er schon eine vorläufige Aufnahme liefern. Farr spielte noch das Saxofon ein und kümmerte sich um den visuellen Teil – und am Samstagabend flimmerte der Clip bereits über die große Kinoleinwand in Münster. Das erste Mal Gänsehautzeit für Müller-Herzing: Seine gesungenen melancholisch kritischen Worte vermischt mit Kiew-Bildern aus glücklicheren Zeiten und aktuellen Kriegsaufnahmen, alles durchscheinend von den blau-gelben Nationalfarben der Ukraine – und ein ergriffenes Saalpublikum.
Etwas Vergleichbares habe er davor noch nie gemacht im Lichtspielhaus, das seine Frau 1998 vom Vater übernahm. Zwar kombiniert Müller-Herzing gern mal einen Kinofilm mit passender Musik – wie etwa beim Auftritt eines Lindenberg-Doubles zu „Lindenberg! Mach Dein Ding“ –, aber so etwas? Nein, das gab’s noch nicht. Und das Lied gehört sicherlich zu den wichtigen seiner 50-jährigen Schaffenszeit, in der er auf Deutsch und Englisch melodiöse Pop-Poesie formuliert. Es soll so lange im Vorprogramm bleiben, bis der Krieg endlich aufhört und die Russen ab nach Hause ziehen. (Isabel Hahn)