Bewegende Schicksale beim Begegnungscafé in Münster

„Gemeinsam geht’s einfach besser. Deshalb muss man Kräfte bündeln“, betont Michael Ries von der Münsterer Kolpingsfamilie. Das gilt auch bei der Betreuung der ukrainischen Flüchtlinge, bei denen von vielen Seiten – wie Gemeinde, Kirchen oder Vereinen – der Wunsch besteht, sich zu engagieren.
Münster - Im Hinblick darauf entstand im Mai eine Idee: die evangelische Martinsgemeinde und die katholische Pfarrgemeinde St. Michael stellten gemeinsam ein zentrales Begegnungscafé auf die Beine und luden alle Interessierten zum Unterstützen und Mitmachen ein. Immer am dritten Dienstag im Monat kommen ab 16 Uhr ukrainische Geflüchtete und deren Gastgeber im katholischen Gemeindezentrum zusammen. „Mittlerweile fanden bereits vier Termine statt“, berichtet Ries, der zusammen mit seiner Frau zu den Aktivposten gehört. Die Besucherzahl liegt in der Regel zwischen 20 und 50. Die Kuchen werden von den Helfern gebacken, einige auch von Bürgern abgegeben.
„Die Gesamtzahl der ukrainischen Flüchtlinge, die in Münster leben, lag vor den Ferien bei rund 130. Aktuelle Daten sind oft schwierig, da es wohl eine höhere Dunkelziffer gibt und sich nicht alle auf der Gemeinde anmelden“, sagt Ries. Dazu sei mit neuen Flüchtlingen und solchen, die wieder zurückkehren, ständig Bewegung in der Sache. Überaus positiv ist für ihn, dass es gelungen ist, die Menschen alle privat unterzubringen. Zum Begegnungscafé gehört stets ein Tisch, auf dem Sachspenden zur Verteilung liegen. Von haltbaren Lebensmitteln bis zu Schulmaterial ist die Bandbreite groß. Die Kommunikation findet in verschiedenen Sprachen wie Englisch, Russisch und Deutsch statt, des Weiteren mit Übersetzungsprogrammen im Internet und zu guter Letzt auch mit Händen und Füßen. Aus Polen stammende Helferinnen können oft ein bisschen russisch, dazu sprechen einige Ukrainerinnen ein paar Sätze deutsch.
Wer sich mit den Frauen aus Osteuropa unterhält, erfährt immer wieder bewegende Schicksale. So ist Anna (40) mit ihrer 18-jährigen Tochter und dem zwölfjährigen Sohn erst seit eineinhalb Monaten in Deutschland. „Unser Dorf in der Region Oblast Sumy ist nur zehn Kilometer von der russischen Grenze weg. Über Wochen waren wir von russischen Soldaten ohne Essen und Medikamente eingekesselt“, erzählt sie. Dann konnte die ukrainische Armee die Invasoren zurückdrängen und die Flucht der Mutter mit ihren Kindern per Zug nach Polen und dann weiter per Bus nach Deutschland gelang. Annas Mann, mit dem sie täglich telefoniert, ist immer noch in der Ukraine. Er arbeitet in der Möbelherstellung, aber durch den Krieg ist nicht jeden Tag etwas zu tun. In Oblast Sumy herrscht bei ihm und vielen anderen Bewohnern die Angst, dass die Russen zurückkommen und erneut angreifen. Annas Tochter Anastasiia geht zum Deutschkurs nach Dieburg, ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin macht sie derzeit über das Internet. Online verbindet sie sich dafür mit verschiedenen Stellen in der Ukraine.
Auch wenn das Begegnungscafé stets von wechselnden Gesichtern geprägt ist, gibt es immer wieder Momente, die die Helfer ergreifen. So bat beim jüngsten Termin eine ältere Frau darum, etwas singen zu dürfen. Als sie das „Ave-Maria“ auf Ukrainisch anstimmte, löste das bei den meisten Anwesenden Gänsehaut aus, vor allem weil die Stimme der Frau der einer Opernsängerin glich. Als sie danach bekannte ukrainische Volkslieder zum Besten gab, stimmten fast sämtliche anwesenden ukrainischen Frauen umgehend und unaufgefordert mit ein. Den Münsterer Helfern blieb in diesem Moment nur ungläubiges Staunen, auch über die darauffolgende Erklärung: „Alle Ukrainer können sehr gut singen“, waren sich die Helfer einig. (Michael Just)