„Die Manege ist unser Leben“

Viele Besucher waren am Wochenende beim Circus Rolina zu Gast, der am Wochenende sein Zirkuszelt in Münster neben dem Edeka aufgebaut hatte.
Münster – „Willkommen im Land des Lächelns! Lassen Sie Ihren Kummer zuhause!“ Das ruft Andy Ortmann den gut 100 Zuschauern zu. Der Zirkus seiner Familie war von Donnerstag bis Sonntag in Münster neben dem Edeka zu Gast, zum dritten Mal in den vergangenen Jahren. Ein kleiner Junge richtet den Scheinwerfer auf den Papa, die Melodie des Films „The Greatest Showman“ ertönt – und los geht es. Schon öffnet sich der Vorhang, und Zebras und Kamele ziehen ihre Runden durch die Manege des „Circus Rolina“. Dabei tragen die Zweihöckrigen schwarz-weiß gestreifte Umhänge, als ob sie sich unter ihren doch viel kleineren Genossen tarnen wollten. Dann erscheinen Lamas auf der Bildfläche.
„Meine Söhne leben für die Tiere“, sagt Cornelia Ortmann, die den Zirkus vor 32 Jahren mit Mann Freddy gegründet hat. Dass dies nicht bloß Worte sind, sieht man, wenn man ihre Tiere betrachtet – in den großen Gehegen und auf der Bühne. Da springt schon mal ein Lama aus der Reihe und drängelt sich an einem Hindernis vorbei, statt drüber zu hüpfen. Dompteur Andy, der älteste Sohn, schmunzelt nur. „Es gibt bei uns ein Lama, das wollte der Tierarzt einschläfern. Aber nicht bei meinen Söhnen“, erzählt die Mutter. „Nein, die haben nachts bei ihm geschlafen und es abwechselnd mit der Flasche gefüttert. Jetzt springt es mit den anderen.“

Die 61-jährige Frau wird nicht müde, dies auch Tierschützern zu erklären, die mancherorts vor ihrem Rastplatz demonstrieren. „Wir haben keine Raubkatzen, keine Elefanten, keine Affen“, helfe meist ein wenig, die Skepsis zu mindern. Am besten sei es jedoch, die Demonstranten zu ihren Tieren einzuladen. „Daraus sind schon echte Freundschaften entstanden.“ Die Vierbeiner sind gleichzeitig Familienmitglieder und Kollegen der Ortmanns. Ohne sie geht nichts. Wenn sie auftreten, zieht ein staunendes Ooooooh durch die Menge des zumeist sehr jungen Publikums. An heißen Tagen wie diesen erhalten sie bei einem Standortwechsel als erstes ihr neues Quartier. Trotz guter Belüftung sollen sie möglichst nicht lang im Wagen bleiben. Wegen der Hitze wird nachts umgezogen.
Dass es der Zirkus mit seinen rund 60 Tieren bisher gut über die Corona-Zeit gebracht ist, hat Familie Ortmann den Menschen zu verdanken, die ihre Vorstellung besuchten. Immer dann, wenn es gerade erlaubt war. „Zu Anfang sind in sechs Monaten mehr gekommen als in zwei Jahren vor der Pandemie“, berichtet Freddy Ortmann. Der Zirkus war eben offen, als sich noch viele andere mit Angeboten zurückhielten. Kein Wunder. „Die Manege ist unser Leben!“, meint das Oberhaupt, das inzwischen von den vier erwachsenen Söhnen, zwei Schwiegertöchtern und fünf Enkeln unterstützt wird. Da arrangierte man sich mit Abstandsauflagen und freute sich über Futterspenden. Und die erreichten sie auch während ihrer langen Zwangspausen unter anderem von Landwirten.
Möglich, dass das erneut nötig sein wird, wenn es weiter so trocken bleibt und die Corona-Regeln im Herbst wieder anziehen. „Im ebenfalls trockenen Sommer 2020 kostete ein Heuballen 75 Euro“, sagt Freddy Ortmann und lacht kopfschüttelnd auf. Zurzeit sind es glücklicherweise noch 35 Euro, Tendenz allerdings stark steigend. Ihre Eintrittspreise möchten die Ortmanns dennoch nicht anheben. „So viele müssen genauso wie wir auf jeden Cent achten“, begründet Gemahlin Cornelia, für die es trotz allem selbstverständlich war, geflüchtete Ukrainer kostenlos ins Zelt zu lassen.
Sorgen machen ihr und ihrem Mann außerdem die stets weitersteigenden Energiepreise. Im Winter muss schließlich das Zelt mit Platz für 500 Mann beheizt werden. Und zwar mit Gas. Nur im November legt die Familie normalerweise eine Pause ein. Nicht zu vergessen: Die auch dann gebrauchten warmen Unterkünfte für Mensch und Tier. Denn die Ortmanns leben das ganze Jahr über in ihren Wägen; dort lernen die Kinder im Schulalter online für die Schule, dort entstehen die Ideen für neue Auftritte.
Vergangene Weihnachten mussten sie mit ihrer Festtagsvorstellung passen. Nur 50 Zuschauer hätten wegen Corona ins Zelt gedurft. Das wäre nicht rentabel gewesen. Nun bangen sie darum, dass es dieses Jahr bei mehr als verdreifachten Gaspreisen nicht so kommt mit den Beschränkungen. Nur so können sie langfristig der Ort bleiben, an dem der ein oder andere seinen Kummer vergisst und mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause geht. Die nächste Station des Circus Rolina ist Oberursel. (Isabel Hahn)