Erfolg für den Naturschutz

Zwischen Hergershausen, Münster und Altheim liegt das rund 400 Hektar große Landschafts- und Naturschutzgebiet „Hergershäuser Wiesen“. Der Nabu Münster setzt sich seit Jahren für dessen Erhalt ein.
Münster/Hergershausen – Oft wird er in den Mund genommen, der Ausgleich von Ökonomie und Ökologie. In der gesellschaftlichen Realität passen wirtschaftliche Interessen und Naturschutz jedoch oft nicht gut zusammen. Das sah man auch beim ungebremsten Ausbau des Frankfurter Großflughafens – bis hin zu schweren Auseinandersetzungen um die Startbahn West.
Zwischen Münster, Altheim und Hergershausen profitiert man jedoch von Ausgleichsmaßnahmen zur Startbahn, im 400 Hektar großen Landschafts- und Naturschutzgebiet „Hergershäuser Wiesen“.

Dieter Günther, 1. Vorsitzender der aktiven Ortgruppe des Naturschutzbundes (Nabu) Münster, die rund 500 Mitglieder zählt, sagt dazu: „Die Wiedergewinnung der Grünlandaue Hergershäuser Wiesen war und ist unser größtes Projekt. Vor wenigen Jahrzehnten war vom früheren Naturparadies nur noch wenig zu sehen. Viele Wiesenbrüter und Pflanzengesellschaften waren bis in die 80er Jahre verschwunden durch extensive Freizeitnutzung und Landwirtschaft“, erklärt Günther. „In gemeinsamer Anstrengung unserer Ortsgruppe, der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON), des Landkreises Darmstadt-Dieburg und der Kommunen Münster und Babenhausen gelang es, durch Kauf und Pacht viele Flächen für Naturschutzzwecke zurück zu erwerben. Das Land Hessen steuerte dazu erhebliche Mittel bei – als Ausgleich zu verlorenen Naturflächen nahe der Startbahn West.“

Was bei so viel Zuwendung zu Flora und Fauna im Euro-Habitat-Gebiet herausgekommen ist, hat die Hergershäuser Wiesen zu einem der schönsten Landschaftsparadiese Hessens werden lassen. Dank des jetzigen feuchten Sommers blühen viele Trocken- und Feuchtwiesen in größter Pracht. Aus Ein- und Ausfluglöchern in meist naturbelassenen Wegen schwirren unzählige Wildbienen aus. Daneben flattern auf Distel- und Blühwiesen verschiedenartige Käfer und Schmetterlinge. Auf erstmals gemähten Naturwiesen suchen viele Störche nach Kleintieren, um dann zu den Nestern am Rande von Altheim und Münster zurückzukehren. In Wasserläufen und Teichen fühlen sich Gänse, Enten und andere Wasservögel sichtlich wohl. Dazu trägt auch die Renaturierung der Gersprenz bei, samt lebenserhaltenden „Fischtreppen“, Mäandern und Seitenarmen, die von der Tierwelt zum Brüten angenommen werden. Eine windbetriebene Schöpfanlage an der Gersprenz, gebaut von einer holländischen Firma, sorgt auf Feuchtwiesen für notwendiges Wasser. Frankfurts Zoologische Gesellschaft beteiligt sich hier und hat einen ökologisch notwendigen Schutzzaun um eine Fläche gezogen, die aussieht wie eine Nordsee-Polderlandschaft. Damit sollen aufdringliche Besucher von zahlreichen Nestern der inzwischen über 30 Kiebitze und anderer Wiesenbrüter ferngehalten werden. Sie waren hier ebenso ausgestorben wie viele Lerchen, die jetzt hier an die 20 Paare haben. An den stoisch weidenden Rindern und Pferden stören sich die Vögel nicht. Im Gegenteil: Vom Mist der einen profitieren die anderen.
Die umfangreichen Biotopgestaltungs- und Pflegemaßnahmen, Grundlage für seltene Tiere und Pflanzen von oft europäischer Bedeutung, waren und sind erfolgreich. Das sieht man nicht nur an Weißstörchen auf Bäumen und Masten, an großen Gänsescharen und an der Gersprenz angesiedelten Bibern, die zuweilen gewaltige Nagespuren hinterlassen. Im Herbst rastende Kraniche und Goldregenpfeifer, überwinternde Kornweihen und Raubwürger gehören jetzt ebenso zum ganzjährig attraktiven Bild wie Flussregenpfeifer, Zwergtaucher, Schwarzkehlchen und Wiesenschafstelze. Laubfrösche und Kreuzkröten haben hier die kopfstärksten Laichpopulationen in Hessen neben Molcharten, Ringel- und Schlingnatter sowie Zauneidechsen. Diverse Fledermausarten finden in den Feuchtgebieten genügend Nahrung. Auch das Insektensterben ist gebremst. Sumpfschrecken und Blauflügelige Ödlandschrecke, Kreiselwespe und Ameisenbläuling gehören zu den auffälligeren Arten. Die Pflanzenwelt bietet mit Knabenkräutern, Schlangenwurz, Pillen- und Kleefarn sowie Sand-Silberscharten, Strohblumen und Grasnelken Raritäten im Schutzgebiet.

Vom achtsamen, genussvollen Laufen und Wandern, das auf Nebenwegen dem Radfahren vorzuziehen ist – Fernglas nicht vergessen – hängt der paradiesische Zustand der Hergershäuser Wiesen ab. Dazu sollte man auf zugelassen Wegen bleiben und Hunde anleinen. Mit Sorge blickt man, mitten im herrlichen Fernblick bis zum Odenwald, auf ein Neubaugebiet am Rande von Münster, wo eine Industriehalle entsteht. Trotzdem ist Nabu-Vorsitzender Günther zufrieden und verweist auf die große Dokumentation von Dr. Wolfgang Heimer, des pensionierten Leiters der Unteren Naturschutzbehörde Darmstadt-Dieburg. Das umfangreiche Werk ist im Internet herunterzuladen.

Heimer schreibt: „Kaum ein anderes Naturjuwel im Altkreis Dieburg hat in den vergangen hundert Jahren derart massive Veränderungen erfahren wie die Hergershäuser Wiesen. Das Feuchtwiesenareal war viele Jahre Lebensraum für seltene Vögel und Pflanzen, abhängig von Gersprenz-Hochwasser und kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Dann folgten 60 Jahre kontinuierlicher Zerstörungen durch Bachbegradigungen, Entwässerung, Grünlandumbruch und zunehmenden Erholungsdruck. Engagierte Naturschützer mussten zusehen, wie Brachvogel, Laubfrosch und Orchideen ihre Heimat verloren. Nun sind die Wiesen eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes, die zeigt, was Zusammenarbeit ehrenamtlicher Schutzorganisationen mit amtlichem Naturschutz bewirken kann – auch gegen vorübergehenden Widerstand von Kommunen und Landbewirtschaftern. Wir können den erreichten Zustand nun genießen, aber wir brauchen auch Besucherlenkung und ausreichende Überwachung zur Abwehr von Schäden.“
Die Ortsgruppe des Nabu Münster, überall im Naturareal mit ausführlichen Informationstafeln, Hinweisschildern und Beobachtungsständen wie nahe des Altheimer Bahnhofes präsent, hat das Ihrige dazu getan – auch mit informativen Faltblättern. Zu allen Jahreszeiten sind samstags 10 bis 15 Mitglieder zu Pflegemaßnahmen unterwegs. Bei der Rückverwandlung von Ackerflächen in Grünland, der Anlage zahlreicher Kleingewässer und Flutmulden, der Verlegung von Wegen, Stauhaltungen in den Gräben und Pflege von Sandrasenresten hat man entscheidend mitgewirkt – ausgehend von den erhaltenen Naturschutzgebieten „Die kleine Qualle“ und „Auf dem Sand“. Auch ortsansässige Landwirte mähen und weiden mit großer Vorsicht. (Von Reinhold Gries)