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Ein Stern versinkt

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Von: Ralf Enders

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Ein Sternchen entzweit die Republik – und auch die Münsterer Gemeindevertretung. Symbo
Ein Sternchen entzweit die Republik – und auch die Münsterer Gemeindevertretung. Symbo © Dpa

Gendergerechte Sprache entzweit die Republik: Die einen halten sie für unverzichtbar, um auch soziale Gerechtigkeit zu erreichen, für die anderen ist sie eine Verhunzung der deutschen Sprache.

Münster – Die Gemeindevertretung von Münster hat auf ihrer jüngsten Sitzung am Montagabend im Rathaus mit den Stimmen von CDU und FDP mehrheitlich beschlossen, dass die Gemeinde „insbesondere in der Außendarstellung“ auf Genderzeichen wie Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche verzichtet. Es geht also um den Internetauftritt, Pressemitteilungen oder Bekanntmachungen. SPD und Grüne stimmten dagegen. Dem Hessischen Städte- und Gemeindebund zufolge ist der Beschluss hessenweit einmalig.

Er tritt nach Angaben von Bürgermeister Joachim Schledt (parteilos) sofort in Kraft. Der Beschluss basiert auf einem Änderungsantrag der FDP. Den ursprünglichen, deutlich weitergehenden Antrag hatte die CDU eingereicht. Die Änderung der Liberalen lässt jedoch eine automatische Anpassung an eventuell neue Regeln des maßgebenden Rats für deutsche Rechtschreibung zu. Dem konnte sich die Union anschließen. Ausdrücklich erlaubt sind weiterhin die Nennung der beiden biologischen Geschlechter wie in „Damen und Herren“.

Die Debatte war erwartungsgemäß leidenschaftlich. CDU-Fraktionschef Thorsten Schrod: „Das Durcheinander in Deutschland ist groß, doch der Rat für deutsche Rechtschreibung hat eine klare Linie.“ Dem solle man folgen. Sprache müsse „in allen Bereichen der öffentlichen Kommunikation einheitlich, rechtssicher, grammatikalisch und orthografisch eindeutig und unbeeinflusst von gesellschaftlichen Strömungen sein“, heißt es im Antrag seiner Fraktion. Von Akzeptanz der Gendersprache bei den Bürgern könne keine Rede sein; zwei Drittel lehnten diese Sprache ab. Die sensible Ansprache der Menschen entsprechend ihrem Geschlecht sei eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht durch „verordnete und in der Bevölkerung nicht akzeptierte Abweichungen von orthografischen Regeln erzwungen werden kann“.

FDP-Fraktionschef Jörg Schroeter stimmte dem prinzipiell zu. Er verwies darauf, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung ein überstaatliches Gremium mit Mitgliedern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Südtirol, Belgien, Liechtenstein und Luxemburg sei und zu denselben Schlüssen komme. Allerdings, deshalb die Änderung, verändere sich Sprache ständig, und sollte sich das amtliche Regelwerk beim Thema Gendern irgendwann ändern, solle die Verwaltung diese neuen Regeln befolgen und die Gemeindevertreter keinen neuen Beschluss fassen müssen.

Claudia Weber (ALMA/Die Grünen) machte ihre Haltung gleich in der Begrüßung deutlich: Sie sprach alle Anwesenden ausschließlich in der weiblichen Form an. „Wir brauchen keinen Krieg der Sternchen“, sagte sie im ausführlichsten Beitrag zu der Debatte. Gendern heiße, alle Geschlechter anzusprechen. Das generische Maskulinum, also die Verwendung der maskulinen Form wie Bürger, Steuerzahler oder Wähler, um Frauen und Männer gleichzeitig anzusprechen, sei rechtswidrig und „verstößt gegen das hessische Gleichberechtigungsgesetz“. Die Gemeinde Münster habe sich entschlossen, nicht nur Männer und Frauen anzusprechen, sondern gemäß des „Leitfadens für geschlechtersensible Kommunikation“ des Landkreises Darmstadt-Dieburg auch nicht binäre Personen. Ein Gutachten der Berliner Humboldt-Universität belege, dass das Gender-sternchen nicht nur rechtskonform sei, sondern auch, dass das Grundgesetz „zwingend Geschlechtergerechtigkeit im staatlichen Sprachhandeln erfordert“. Dies sei wichtiger als die Empfehlung des Rechtschreib-Rats, Denn auch nicht binäre Menschen wollten angesprochen werden, und die Größe einer Minderheit sei kein Maßstab, ob man sich um deren Probleme kümmere. „Indem wir gendern sorgen wir dafür, dass alle Personen sichtbar sind und bleiben.“

Sozialdemokrat Jürgen Müller machte es kurz: „Ich bin entsetzt und überrascht. Eine solche Diskussion hat in Kommunen nichts zu suchen, sie gehört in die Gesellschaft.“ Die konservative CDU ertrage es nicht, dass sich etwas wandelt, Jüngere hätten damit kein Problem. Der Antrag sei „absurd“.

Aber in Hessen offenbar einmalig. Dr. David Rauber, geschäftsführender Dezernatsleiter beim Hessischen Städte- und Gemeindebund (HSGB) in Mühlheim, sagte auf Anfrage unserer Mediengruppe: „Vergleichbare Beschlussfassungen wie die in Münster sind uns nicht bekannt geworden.“ Gleichwohl beschäftige das strittige Thema Verwaltung und Justiz. Tendenziell setze der HSGB auf Verständlichkeit (siehe Artikel auf dieser Seite): „Letztlich sollen die staatlichen und kommunalen Äußerungen verständlich und (vor-)lesbares Deutsch sein.“ Die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern dürfe nicht auf Kosten der Verständlichkeit oder der Klarheit gehen.

Münsters Bürgermeister Schledt ließ sich übrigens keine Stellungnahme entlocken: „Kein Kommentar.“

Der Beschluss im Wortlaut

1. Der Gemeindevorstand wird aufgefordert, insbesondere in der Außendarstellung der Gemeinde Münster (Hessen) die normgebenden Hinweise und Regeln des Rats für deutsche Rechtschreibung anzuwenden. Dies betrifft auch, bis zu etwaigen Änderungen in der Zukunft, die Empfehlungen des Rats vom 26.03.2021 zur geschlechtergerechten Schreibung.

2. Der Leitfaden für geschlechtergerechte Kommunikation des Landkreises Darmstadt-Dieburg kann Anwendung finden, soweit er nicht zu Punkt 1 im Widerspruch steht.

„Aus ,Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertretern’ dürfen keine ,Gemeindevertreter*innen’ werden“

Ob Privatpersonen gendern ist eine Sache, ob es Städte und Gemeinden tun eine andere. Dr. David Rauber vom Hessischen Städte- und Gemeindebund hat die Frage auf verwaltungstechnischer Ebene für ein Mitglied aufbereitet. Er verweist darauf, dass dies eine Darstellung der rechtlichen Gesichtspunkte sei, keine Positionierung in der Diskussion. Auszüge daraus: „Die Verwendung von Gender-Sternchen und ähnlichen Ausdrucksformen (...) verfolgen ein durchaus nachvollziehbares Ziel, auch mit Blick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichstellung der Geschlechter. Indes haben sich nach unserem Eindruck Schreibweisen wie ,Gemeindevertreter:innen’ oder ,Bürgermeister*innen’ in der Alltagssprache nicht durchgesetzt. Das ist rechtlich gesehen von zentraler Bedeutung. (...) Nach § 23 Abs. 1 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist die Amtssprache Deutsch. Nach dieser Vorschrift darf und muss sich die Behörde in dem von ihr ausgehenden Schriftverkehr und überhaupt bei Äußerungen in Textform nur des Deutschen als Amtssprache bedienen (...). In der Umgangssprache haben sich die (...) genannten Ausdrucksformen nach derzeitigem Stand nicht durchgesetzt. (...) Auch im uns zugehenden Schriftverkehr der 400 Mitgliedsstädte und –gemeinden (...) spielt die Verwendung von Gendersternchen und Co. keine erkennbare Rolle. (...) Auch in der im Rahmen der Verwaltungstätigkeit gebräuchlichen Fachsprache wird sie nicht verwendet. Von daher ist nicht ersichtlich, dass Städte und Gemeinden derartige Formen verwenden müssten. Allerdings haben sowohl der Bund, (...) als auch das Land (...) praktikablere Wege aufgezeigt, wie dem auch für die kommunale Ebene geltenden Gebot der Gleichstellung der Geschlechter(...) praktisch bei der sprachlichen Gestaltung Rechnung getragen werden kann. (...) Für die in der Hessischen Gemeindeordnung verwendeten Funktionsbezeichnungen hat der Gesetzgeber mit § 11a HGO übrigens eine abschließende Regelung getroffen. (...) Mithin dürfen im amtlichen Sprachgebrauch aus ,Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertretern’ keine ,Gemeindevertreter:innen’ oder ,Gemeindevertreter*innen’ werden.“ re

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