Kräuter zur Heilung

Manchmal sind Kräuterwanderungen eine Reise zurück in die Kindheit. Wenn es etwa um die Taubnessel geht, können sich ältere Teilnehmer erinnern, wie sie in jungen Jahren die weißen Blüten ausgesaugt und den honigsüßen Geschmack auf der Zunge genossen haben.
Münster – Bei der Kräuterführung der Ortsgruppe Münster des Naturschutzbundes (Nabu) hat Doris Fasterling den Teilnehmern allerhand über Pflanzen und ihre Wirkung berichtet. „Man muss nur schauen, dass beim Kosten keine Ameisen in den Blüten der Taubnessel sitzen. Die Pflanze ist in allen Teilen essbar: Die Blätter eignen sich zum Beispiel als Salatzugabe, für Kräuteröle oder als Tee“, erklärte die Expertin. Dazu habe sie gegenüber der Brennnessel keine Härchen, die stechen und schmerzenden Quaddeln verursachen können.
Fasterling ist Vorstandsmitglied beim Nabu Sprachbrücken und den Münsterer Kollegen durch Kreistreffen der Naturschützer bekannt. Was Kräuterkunde angeht, hat sie sich durch viele Seminare, Führungen und pädagogische Angebote einen guten Ruf erarbeitet. „Wir haben sie engagiert, dass sie mit der Wanderung unsere momentane Schau in der Langsmühle untermalt“, sagt Thomas Lay, Vorsitzender des Nabu Münster. Ihre Kenntnisse stellte die Referentin schon nach kurzer Zeit unter Beweis. Einige der rund 20 Teilnehmer äußerten dabei die Befürchtung, dass es schwerfallen dürfte, bei dieser Menge an dargelegtem Wissen alles behalten zu können.
Denn alleine die Brennnessel – die Heilpflanze 2022 – ist ein Wundergewächs. Ihr Vitamingehalt übertrumpft sogar den Kopfsalat. Die jungen Blätter lassen sich gut zu Spinat verarbeiten und schmecken laut Fasterling in Kombination mit Giersch und Bärlauch besonders gut. Für Männer sei die Wurzel interessant, da sie Prostatabeschwerden lindert. Fertige Präparate würden die Anwendung erleichtern. Eine weitere Empfehlung: Brennnessel-Jauche als Gartendünger. Auch die Samen, die wie kleine Pillen aussehen, können gegessen werden. Da ihnen früher eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt wurde, war die Einnahme in Klöstern verboten. Fasterling erinnerte daran, dass es in vorherigen Jahrhunderten noch keine Pharmaindustrie und Apotheken gab: „Bei Beschwerden und Heilung waren die Menschen komplett auf das angewiesen, was die Natur ihnen bot.“ Vor allem in Klostergärten wurden viele Pflanzen kultiviert und das Wissen der Volksmedizin tradiert. Das erlangte Monopol, das natürlich auch finanzielle Vorteile barg, wollte der Klerus ungern teilen. „So wurden Frauen, die sich damit beschäftigten, oft als Konkurrenz angesehen und im schlimmsten Fall als Kräuterweibchen und Hexen diffamiert“, sagt die Referentin.
Für den Kräuterspaziergang musste die Gruppe nicht allzu weit vom Startpunkt an der Langsmühle ausschwärmen: Denn auf Wegen nahe der Gersprenz gedeihen viele Kräuter. Durch die Hitze der zurückliegenden Tage und die fortgeschrittene Jahreszeit waren einige zwar nicht mehr im besten Zustand, was aber keinen Einfluss auf die Erläuterungen hatte. Infos gab es zum Vogelknöterich, dem Wiesen-Storchschnabel, dem Spitz- und Breitwegerich, der Minze, dem Johanniskraut, dem Mädesüß oder dem Beinwell. Bei Letzterem bezieht sich der Wortbestandteil „Bein“ auf Knochen und die darauf abzielende Heilwirkung. Schon in der Antike galt der Beinwell als hilfreich bei Knochenbrüchen, Prellungen und Gelenkbeschwerden. In vielen Salben gegen Sportverletzungen sind seine Bestandteile heute zu finden.
Fasterling zeigte in zwei Stunden auf, dass gegen viele Beschwerden ein Kraut gewachsen ist. Allerdings sei die Wirkung nicht so stark wie bei chemischen Präparaten, weshalb manche Effekte sich erst nach ein paar Wochen einstellten. Dennoch könne man sich oft den Weg in die Apotheke oder zum Arzt sparen: „Das Superfood wächst direkt vor der Haustüre und kostet nicht mal was.“ Den Import moderner Chia-Samen aus China betrachtet sie aufgrund der hiesigen Kräuterfülle als überflüssig. Das Wissen um die Kräuter sieht sie als ungebrochen aktuell, auch weil immer noch viele Menschen, die in unterentwickelten Regionen leben, auf Naturmedizin angewiesen sind – immerhin zwei Drittel der Erdbevölkerung. Mit einem Aha-Effekt war einer der letzten Stopps auf der Tour verbunden: Kaum einer aus der Gruppe wusste, dass der Kompass-Lattich die Urpflanze unseres Salates ist. Ein Hinweis liegt darin, dass es früher üblich war, den Kopfsalat auch Lattich zu nennen. Der Name Kompass rührt daher, dass sich die Pflanze nach der Sonne richtet. (Michael Just)