Beim SV Münster wird Gehfußball gespielt

Münster – „Guck dir meine Knie an“, sagt Joachim Boucher und beantwortet damit die Frage, warum er Gehfußball spielt. „Ich habe einen Knorpelschaden – wie die meisten hier“, fügt der frühere, einst als pfeilschnell bekannte Erstmannschaftsspieler des SV Münster an. Der Verein vom Mäusberg ist im Fußball-Kreis Dieburg unter die Pioniere gegangen: Gehfußball als körperlich schonende Variante des deutschen Volkssports ist noch eine Rarität und verbreitet sich langsam, aber sicher.
Vor ein paar Wochen erhielt ein Teil des Münsterer Altherren-Teams einen Besuch samt Kurzschulung durch einen Vertreter des Hessischen Fußball-Verbands. „Wir wollten uns den Gehfußball mal näher erklären lassen“, sagt Martin Kandler, der die Idee Anfang des Jahres mit Mitspieler Gerwin Kreher aufgriff und beim HFV um eine Einheit bat. „Der Verband versucht ja, diesen Sport voranzubringen.“ Auch Kandler, 48 Jahre alt, spielte früher in den Aktiventeams des SVM, „mit 42 hatte ich aber einen Kreuzbandriss und bin erst letztes Jahr wieder bei den Alten Herren eingestiegen“.
So geht es vielen unter den bislang zehn, zwölf Spielern, die beim SV Münster an den ersten Gehfußball-Terminen teilgenommen haben. Die Lust am Kicken ist noch groß; die klassische Variante, alles andere als muskel-, sehnen- und gelenkschonend, kommt wegen Verletzungen – oder der Angst davor – aber nicht mehr oder nur noch selten in Frage. Auch große Altersunterschiede spielen beim Gehfußball eine kleinere Rolle als beim normalen Altherren-Kick, wo die Jüngeren allein wegen ihrer meist noch größeren Schnelligkeit einen markanten Vorteil gegenüber den wahren Senioren haben.
Auch beim SV Münster reicht die Riege der Alten Herren von Spielern in den 40ern bis hin zu Adi Besic. Der Dieburger ist 69 Jahre alt, trainiert im AH-Team des Vereins hin und wieder auch noch „richtig“ mit und sieht den Gehfußball als sinnvolle Ergänzung: „Man muss am Anfang allerdings aufpassen, dass man nicht aus Versehen losläuft.“
Auch der erfahrenste Routinier im Team muss sich damit zunächst an eine zentrale Regel des 2011 in England als „Walking Football“ erfundenen Ablegers gefunden: Laufen, Joggen, Sprinten – beim Gehfußball alles verboten, egal ob mit oder ohne Ball.
Zwar kann man auch unterschiedlich schnell gehen, doch fällt hier die Differenz zwischen den Spielern deutlich geringer aus. Die Sportart wurde bewusst für ältere Spieler entwickelt, um Blessuren – und gerade bei hohen Temperaturen auch Überforderung – zu vermeiden. Gegen Verletzungen vorbeugen soll auch das Zweikampfverbot. Gehfußball wird körperlos gespielt. Selbst zu Kopfbällen ohne Gegnerkontakt kann es nicht kommen: Der Ball darf maximal hüfthoch gespielt werden.

Normale Klein- oder Großfeld-Tore mit Höhen von zwei beziehungsweise 2,44 Metern braucht man für den Gehfußball also nicht. Die Latte liegt hier nur einen Meter über dem Rasen, bei einer Handballtor-Breite von drei Metern. Im Trainingsspiel des SV Münster gibt es trotzdem viele Treffer: Die „Hütte“ darf nicht verbarrikadiert werden, einen Torwart gibt es nicht, weder Abwehrspieler noch Angreifer dürfen den Strafraum betreten.
Bei Turnieren wird Gehfußball mit sechs Spielern pro Team gespielt, wobei maximal zwei Spieler jünger als 50 Jahre sein dürfen. Im Spätsommer will sich auch der SV Münster erstmals mit anderen Mannschaften messen. Landesweit, so schreibt es zumindest der Hessische Fußball-Verband auf seiner Internetseite gebe es derzeit „mindestens neun Vereine“, die derzeit im Gehfußball aktiv seien.
Münster könnte auf Dauer dazugehören, denn mittlerweile hat ein Teil des Altherren-Teams Regeln und Spielweise (exakte Bälle in den Fuß wichtig, „Freigehen“ ebenso, Steilpässe sinnlos) verinnerlicht und Spaß am ungefährlichen Flachpass-Kick gefunden.
Einen anderen Aspekt sollte man ebenfalls nicht unterschätzen, wie ein SVM-Spieler im Zuge aufkeimender Diskussionen süffisant anmerkt: „Beim Gehfußball hast du viel mehr Luft zum Schwätzen!“ (Jens Dörr)