Zunehmend Engpässe bei der Tafel Dieburg

Für die Tafel Dieburg wird es immer schwerer, genug Lebensmittel zu kriegen. Ein Grund ist, dass geflüchtete Ukrainer ihre Lebensmittel kostenlos abholen dürfen. Dadurch wird zwar mehr abgeholt, aber eben nicht mehr gespendet.
Dieburg/Münster/Eppertshausen – „Wir können unseren Job noch machen – noch!“, sagt Wolfgang Blaseck und betont das zweite „noch“ ganz deutlich. Jener „Job“, den der Vorsitzende der Tafel Dieburg meint, ist die Versorgung von mittlerweile mehr als 400 bezugsberechtigten, weil relativ armen Haushalten in Dieburg, Münster, Eppertshausen, Groß-Zimmern, Groß-Umstadt, Messel, Reinheim und Groß-Bieberau. Weit mehr als 1 000 Menschen im Ostkreis Darmstadt-Dieburg stecken hinter diesen Haushalten, darunter fast die Hälfte Kinder. Inzwischen wird es für die Tafel Dieburg – eine von rund 1 000 bundesweit – immer schwerer, genug Lebensmittel zur günstigen Weitergabe zu besorgen. Dies hat mehrere Gründe, und die steigende Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine ist der neuste.
„Momentan registrieren sich pro Woche 30 Geflüchtete aus der Ukraine bei uns neu“, sagt Blaseck. Der Chef der als Verein organisierten Tafel, die mit zwei Kühlfahrzeugen täglich 40 Supermärkte und Bäckereien in der Region abfährt, die dort nicht mehr vermarktbaren Lebensmittel einlädt und schließlich am Standort in der Industriestraße im Dieburger Industriegebiet-Nord verteilt, nennt dies auch als Grund, weshalb die Zahl der Bezugshaushalte erstmals in der 16-jährigen Geschichte der Einrichtung auf mehr als 400 gestiegen ist.

„Wir machen das bei den Geflüchteten derzeit ganz unbürokratisch“, stellt der Vorsitzende heraus: „Es reicht, wenn sie uns ihren ukrainischen Pass zeigen. Dann bekommen sie von uns die Einkaufsberechtigung in Form einer Karte mit einem Barcode, mit dem wir die Zahl der Einkäufe registrieren.“ Im Gegensatz zu den anderen Kunden der Tafel, die pro Korb zwei Euro bezahlen, erhalten die Ukrainer – meist Frauen und Kinder – die Lebensmittel mindestens fürs nächste halbe Jahr gratis. „In ihrer Notlage gelten besondere Regeln“, haben Blaseck und das Tafel-Team entschieden. Neid anderer Kunden über diesen kleinen finanziellen Vorteil gebe es „sehr vereinzelt“.
Momentan müsse man die Lebensmittel zwar noch nicht rationieren, doch spüre zunehmend Engpässe und fürchte, dass sich diese noch vergrößerten. Blaseck nennt es „ein Konglomerat von Dingen, das wir nicht vorhersehen konnten und unter dem wir gerade leiden“. Neben den zusätzlichen Kunden aus der Ukraine kämen derzeit beispielsweise auch mehr hiesige Menschen zur Tafel, „die kämpfen ja auch mit den gestiegenen Energie- und Lebensmittelkosten“.
Zudem sei es nach gemeinhin schwachen Monaten wie Januar und Februar viele Jahre lang so gewesen, dass die Tafel ab März wieder eine zunehmende Menge an Lebensmitteln zur Verfügung gestellt bekommen habe. „In diesem Jahr nicht, da ist der Aufschwung ausgeblieben“, sagt Blaseck jedoch. Seine Vermutung: „Die Supermärkte kalkulieren genauer und haben am Ende weniger Ware, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ist, übrig.“ Dies sei „ein allgemeiner Trend“, den die Tafel unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten begrüße, der ihnen letztlich aber leerere Regale beschere. „Zudem verkaufen immer mehr Märkte Lebensmittel noch bis kurz vor Ablauf, meist zu deutlich reduzierten Preisen.“ Da griffen dann auch gern solche Kunden zu, die nicht jeden Euro zweimal umdrehen müssten.
Zuletzt spielen aus Sicht von Wolfgang Blaseck „auch die Hamsterkäufe ihre Rolle. Ich frage mich, wie das zustande kommt, denn in Deutschland besteht ja kein Mangel.“ Wobei die Tafel Dieburg lange haltbare Produkte wie Mehl, Reis, Nudeln und Konserven, die von Hamsterkäufen besonders betroffen sind, ohnehin nur selten gespendet bekommt. „Unser Hauptproblem ist derzeit, dass auch die Menge an Frischeprodukten wie Obst, Gemüse und Molkereierzeugnissen zurückgeht – das ist der neuralgische Punkt.“
Wie lange das noch funktionieren könne, wenn diese Trends anhielten, die Zahl der Tafel-Kunden aus der Ukraine und dem Ostkreis in den nächsten Wochen weiter steige und die steigenden Kosten für Sprit, Heizung und Versicherung nicht zuletzt auch das spendenfinanzierte Tafel-Budget belasteten, wagt Blaseck nicht zu prognostizieren: „Im Moment kann niemand sagen, wie sich das weiterentwickelt.“