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Abschiedsinterview mit dem langjährigen Neu-Isenburger Bürgermeister

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Von: Barbara Hoven

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Sein Büro im sechsten Stock des Rathauses hat Herbert Hunkel gestern zu Ende ausgeräumt.
Sein Büro im sechsten Stock des Rathauses hat Herbert Hunkel gestern zu Ende ausgeräumt. © postl

Der heutige 11. April ist ein sehr besonderer Tag für Herbert Hunkel. Es ist sein 77. Geburtstag – und Tag eins als Pensionär nach 61 Jahren in Diensten der Stadt Neu-Isenburg, in denen er eine Karriere vom Lehrling zum Chef erlebte, die ihm so schnell keiner nachmachen dürfte. Hunkel übergibt seinem Nachfolger Dirk Gene Hagelstein (SPD) heute nach zwölf Jahren als Bürgermeister das Chefbüro im sechsten Stock des Rathauses.

Herr Hunkel, Ihre Verabschiedung in der Festsitzung und bei zig weiteren Terminen war ja teils sehr emotional. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie auf die vergangenen Tage zurückblicken?

Mir gingen diese letzten Tage schon sehr nahe. Manchmal habe ich so ein Gefühl, als ob ich nun aus meiner Heimatstadt wegziehen müsste. Dann beruhige ich mich wieder und sage mir, du kannst hier bleiben und alles ist gut vorbereitet für eine Zukunft mit mehr Lebensqualität. Schließlich sind die Weichen dafür auch dank der vielen guten Entscheidungen der Gremien gestellt und es kann nun Zug um Zug an die Ernte gehen.

Sie sind jetzt Ehrenbürger. Kein Titel, den man geschenkt bekommt. Es gibt auch relativ wenige, die am Leben sind. Thomas Reiter, Anny Schlemm, Walter Norrenbrock und Sie sind die einzigen. Was macht Ehrenbürger aus, außer dass sie zuerst begrüßt werden?

Ehrenbürger empfinde ich als Wertschätzung, aber auch als Ansporn, weiterhin das Beste für die Menschen dieser Stadt zu tun, wo und wie auch immer. Ich hätte nie daran gedacht, diese Ehrung eines Tages zu erhalten. Mit dem Ehrenbürgerrecht ist eine Grabstelle verbunden. Auf den Friedhof möchte ich aber noch lange nicht!

Sie haben sich ja sehr schweren Herzens entschieden, nicht noch ein weiteres Mal zu kandidieren. Welches Ereignis hätten Sie gerne noch als Bürgermeister erlebt?

Natürlich hätte ich gerne die Eröffnung des Kindergartens und der Markthalle im Stadtquartier Süd mitgemacht, das war auch eine Anregung von mir. Aber wichtig ist ja, dass das Fundament für all diese Entwicklungen gelegt ist. Und als Gast kann man dann immer noch dabei sein und das genießen.

Wenn wir jetzt zwei Monate weiterspulen: Was glauben Sie, was werden Sie aus dem Berufsalltag am meisten vermissen?

Am meisten vermissen werde ich sicher, dass man mit Menschen im Gespräch ist, dass man Dinge verbessern und etwas gestalten kann.

Haben Sie Angst, jetzt in ein Loch zu fallen?

Nein, die Angst habe ich nicht. Na klar fühlt sich das alles noch komisch an. Es ist ja auch ein Riesenschritt und es wird eine große Veränderung sein. Es ist aber vielleicht ganz gut, wenn der ein oder andere Druck nicht mehr da ist. Ich will jetzt erst mal wieder zu mir kommen, denn man war ja nur gefüllt mit Stadt Neu-Isenburg und mit allen Dingen, die man bewegen will und die noch zu lösen sind und wie man das am besten hinbekommt. Jetzt muss ich erst mal runterkommen und versuchen, mich auch mal anderen Dingen zuzuwenden. Da gibt es ja noch Vereine, wo man tätig ist, oder auch mal Reisen unternehmen und mal ein Buch lesen. Und ich würde auch gerne in der Hauswirtschaft bei meiner Frau tätig sein (lacht) – oder es zumindest versuchen.

Was ist für Sie das Besondere an Neu-Isenburg?

Ganz klar die Menschen. Eben weil sie wissen: Wenn sie helfen müssen, dann sind sie da. Das war 2015 so und das ist auch jetzt wieder so für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Also da ist wirklich noch so ein Miteinander wie auf dem kleinen Dorf, obwohl wir 40 000 Einwohner haben. Das ist einfach so: Wenn man die Isenburger braucht, sind sie da, und das finde ich ganz toll. Ganz oft spürt man so ein Verständnis wie in einer großen Familie.

Können Sie sich an Ihren ersten Tag im Rathaus erinnern? Was gehört für Sie zu den gravierendsten Änderungen seither?

Ja, sehr gut sogar. Das war am 1. April 1961, da bin ich mit schwerem Herzen hierher gegangen, weil es etwas ganz anderes war als Schule. Dann kam ich hier an und stand vor einer damals noch doppelten Sprech- und Türanlage. Ein Foyer gab es nicht. Man musste erst in einen Windfang rein, dann an die Sprechanlage, aus der eine kaum verständliche Stimme kam. Früher waren die Gänge manchmal schwarz vor Leuten, die warten mussten. Das war mir peinlich. Das wollte ich ändern. Aber das war sicher insgesamt auch so ein Synonym für die damalige Zeit – da war der Zugang zum Rathaus ein ganz anderer. Und weil mich das damals so gestört hatte, war es immer mein Bemühen, den Service für die Bürger zu verbessern. Ich hatte mir vorgenommen, dass wir als Stadt besser sein sollten als die Banken. Das kam dann ja mit dem Bürgeramt 1996. Da war das große Glück, dass man sich viel Mühe machte mit der Suche nach einer neuen Nutzung für das Areal am Alten Stadthaus, das war jahrelang ein Schandfleck. Ziel der Bürgeramts-Idee war die Umorganisation der Stadtverwaltung, um die Stadt als Dienstleister der Bürger zu positionieren. Da habe ich allerdings, damals als Hauptamtsleiter, 27 Sitzungen gebraucht. Weil das eine vollkommene Änderung der Philosophie war. Da gab es Leute, die sagten: Jetzt bleib doch mal auf dem Teppich, übertreib es nicht.

Lang ist’s her...

Ja, genau wie eine meiner ersten Aufgaben als Lehrling: Damals musste ich immer freitags für die Stadt als Fleischverkäufer in der Freibank ran. Aufregend war auch der erste Einsatz als Verwaltungsangestellter in der Passstelle, vier Wochen Urlaubsvertretung im Sommer. Der Ansturm war groß und die Pässe mussten von Hand in Druckbuchstaben geschrieben werden. Damit ich das irgendwie hinbekam, hab ich mir am Wochenende die Arbeit mit nach Hause genommen und dort Ausweise geschrieben. Hätten wir damals schon einen Datenschutzbeauftragten gehabt, der hätte mir wahrscheinlich den Hals umgedreht. Das sind so Erinnerungen, die nicht verloren gehen. Aber die Verwaltung hat heute wirklich eine ganz andere Philosophie – und das ist auch gut so.

Was wird den Neu-Isenburgern von zwölf Jahren Herbert Hunkel als Rathauschef bleiben? Was hoffen Sie da?

Die vielen Kinderbetreuungseinrichtungen. Der Ausbau der Kinderbetreuung war immer etwas, was mir sehr am Herzen lag. Da sind wir ja wirklich gut aufgestellt, und dann wird ja jetzt die neue Kita im Quartier Süd noch gebaut. Sehr froh bin ich, dass wir aktuell zehn hoch qualifizierte und sehr gut Deutsch sprechende Erzieherinnen aus Lateinamerika gewinnen konnten, da der Markt in Deutschland leer gefegt ist. Bei der Nachmittagsbetreuung für Grundschulkinder erreicht die Stadt heute schon eine Quote von 80 Prozent. Also das wird bleiben, die gute Kinderbetreuung. Und hoffentlich auch viele positive Entwicklungen durch die Regionaltangente West, dafür habe ich mich sehr eingesetzt, insbesondere für die Verlängerung bis ins Birkengewann. Ich denke, dass die Leute viel davon haben werden. Und hoffentlich auch von der Straßenbahnverlängerung und der Aufwertung der Frankfurter Straße, dass die Aufenthaltsqualität durch den Stadtumbau besser wird. Also das sind so Dinge, die auch die Lebensqualität verbessern können. Da hoffe ich, dass das erreicht wird. Denn wir haben natürlich eine enorme Verkehrsbelastung, das ist ja allen bekannt. Doch wenn man attraktive Angebote macht, dass man bequem mit der Bahn fahren kann, dann denke ich, dass es auch zu einer Verbesserung kommt. Wichtig ist zudem, dass viele Wohnungen gebaut wurden, etwa im Birkengewann, ich denke, das ist gelungen. Vor allem, weil dort viele Isenburger, etwa 60 Prozent, die neuen Wohnungen bezogen haben.

Was sehen Sie, neben den bereits genannten Punkten, als Ihre größten Erfolge an?

Ein wichtiges Anliegen meiner Amtszeit war immer das Kümmern um Unternehmen, die man nicht in erster Linie als Steuerzahler ansehen darf, sondern als Partner behandeln muss, die sich hier in Isenburg wohlfühlen sollen. Wichtig war immer auch die Wirtschaftsförderung. Es ist uns gelungen, viele internationale und wirtschaftsstarke Unternehmen anzusiedeln und die Zahl der Arbeitsplätze innerhalb von zehn Jahren um 10000 auf 30000 zu erhöhen. Ebenfalls sehr deutlich die Gewerbesteuereinnahmen. Wichtig war auch, Rewe nach Gravenbruch zu holen. Das war ja lange ein schwieriges Thema, als der alte Markt schloss und die Versteigerung der Galerie kam. Ich war vor Ort, habe den Käufer angesprochen und Kontakt zu Rewe vermittelt. Ich denke, das war eine wichtige Entwicklung für Gravenbruch.

Gegenfrage: Was würden Sie heute in der Rückschau anders machen?

Ja, die Frage habe ich mir auch schon gestellt. Da wüsste ich jetzt im Moment gar nichts, was sofort ins Auge fällt. Ich weiß, das klingt jetzt so seltsam, so erhaben. Aber das jetzt irgendwie was besonders Negatives durch meine Entscheidung entstanden wäre, das wüsste ich jetzt nicht. Der Fluglärm ist natürlich so ein Thema, wo man gerne noch mehr erreicht hätte. Wir haben uns dagegen immer gewehrt und haben ja auch das Nachtflugverbot erreicht, wenn auch nicht von 22 bis 6, aber wenigstens von 23 bis 5 Uhr. Und immerhin konnte die Südbahn verhindert werden, die vor allem für Zeppelinheim ein schwerer Schlag gewesen wäre.

Was hat Ihnen als Rathauschef besonders Freude gemacht und was sind die negativen Begleiterscheinungen des Amtes?

Viel Freude gemacht hat mir, dass wir aufgenommen sind in das Stadtumbau-Programm. Und dass es gelungen ist, dass die Gewobau das Bundesmonopolgelände erwerben konnte, das war sehr wichtig für die Stadtentwicklung. Und was mich natürlich auch sehr gefreut hat war diese Hilfsbereitschaft, als die Flüchtlingswelle 2015 kam und uns hier überraschte. Das hätte ich so in dem Umfang nicht gedacht. Natürlich hatte man Sorgen, hoffentlich geht das alles gut. Doch dann kam die überwältigende Hilfsbereitschaft. Was mich jedoch sehr getroffen hat, das waren die schlimmen Gerüchte, die dann teils gestreut wurden. Dass so etwas behauptet wurde wie, Flüchtlinge hätten den Aldi überfallen. Oder es würden jeden Tag 700 Essen geliefert, aber weil nur 350 Menschen da seien, würde der Rest weggeschüttet. Das hat mich doch sehr betroffen gemacht.

Was waren für Sie die bewegendsten Momente?

Am bewegendsten war, das muss ich ehrlich sagen, als ich 2015 an der Rathenaustraße in die als Erstaufnahmeeinrichtung des Landes für Flüchtlinge vorgesehene Halle kam und sah plötzlich 700 Feldbetten auf nacktem Beton stehen – da kamen mir die Tränen.

Sie haben immer besonders auf die historischen Bezüge geachtet und sind ja auch Vorsitzender des Vereins für Geschichte, Heimatpflege und Kultur, kurz GHK. Was hat das Interesse für Geschichte bei Ihnen ausgelöst?

Ich muss sagen, in der Schule war ich im Geschichtsunterricht gar nicht so bei der Sache, da hat mich mehr Fußball interessiert. Meine Mutter hat mir immer prophezeit: Aus dir wird einmal gar nichts, du hast nur Fußball im Kopf. Das Geschichtliche hat mich eigentlich erst richtig interessiert, als der damalige Bürgermeister Robert Maier mich angesprochen hat, als es 1985 um die Gründungsversammlung des GHK ging, ob ich dabei sein will. Ich wurde dann gleich in den Vorstand gewählt. Da hatte ich natürlich Interesse, da auch einen Beitrag zu leisten. Und das hat sich dann irgendwie so entwickelt – wenn man mit Menschen zusammen ist und Fahrten unternimmt, dann kommt automatisch auch das Interesse. Und dann entdeckt man, wie viele Besonderheiten es hier gibt und wie viele Aspekte der Neu-Isenburger Geschichte es zu beleuchten lohnt.

Beim GHK werden Sie ja bestimmt weitermachen?

Ja klar, das macht mir Spaß und da freue ich mich drauf.

Und wie wird Herbert Hunkel nun als Privatmann ansonsten neu gewonnene Freizeit genießen?

Auch mal in Ruhe etwas anzuschauen, darauf freue ich mich. Mal was zu unternehmen. Das war ja bisher so gut wie nicht möglich, dass man mal aus freien Stücken sagen konnte: Heute ist tolles Wetter, jetzt machen wir mal eine Radtour am Main entlang oder dahin oder dorthin. Diese Freiheit ist neu. Und ich will einen Sprachkurs belegen und mein Französisch aufbessern, denn in einer Hugenottenstadt muss man eigentlich Französisch können.

Zum Schluss: Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

Ich habe ihm eine Aufstellung aller Aufgaben, Projekte und Ziele der Fachbereiche, was in den nächsten sechs Jahren ansteht, mitgegeben. Ich habe es als Wählerauftrag angesehen, dem neuen Bürgermeister alles so zu vermitteln, dass er einen guten Start hat. Und selbstverständlich kann er mich immer anrufen. Aber er muss und wird natürlich seinen eigenen Weg gehen, ich will mich nicht in seine Arbeit einmischen. Als persönlichen Rat habe ich ihm gesagt, dass er möglichst immer vernünftige, menschliche Lösungen suchen und nachvollziehbare Entscheidungen treffen soll; und nicht am Ämterdenken kleben. Menschen mitnehmen bei Entscheidungen und sich kümmern, das ist wichtig.

Das Gespräch führten

Barbara Hoven und Holger Klemm

Nicht länger fremdgesteuert: „Es ist ein Riesenschritt vom Leben für die Stadt und ihre Bürger hin zu einem ganz neuen Abschnitt“, aber der Privatier Herbert Hunkel spürt auch Vorfreude auf ein Leben ohne Terminkalender.
Nicht länger fremdgesteuert: „Es ist ein Riesenschritt vom Leben für die Stadt und ihre Bürger hin zu einem ganz neuen Abschnitt“, aber der Privatier Herbert Hunkel spürt auch Vorfreude auf ein Leben ohne Terminkalender. © Strohfeldt

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