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Aghane in Neu-Isenburg hat große Angst um seine Frau

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Von: Nicole Jost

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Der dicke Ordner voll mit Behörden- und Anwaltsschreiben vor Michael Kaul, dokumentiert die Bemühungen, die Ehefrau von Aamun S. nach Neu-Isenburg zu holen.
Der dicke Ordner voll mit Behörden- und Anwaltsschreiben vor Michael Kaul, dokumentiert die Bemühungen, die Ehefrau von Aamun S. nach Neu-Isenburg zu holen. © Jost

Aamun S. (der richtige Name ist der Redaktion bekannt) ist sehr beunruhigt. Die Bilder der vergangenen Tage aus seinem Heimatland Afghanistan bereiten dem jungen Mann größte Sorgen. „Haben Sie gesehen, wie die Menschen aus großer Höhe von der amerikanischen Militärmaschine gefallen sind? Die Menschen wollen alle raus aus dem Land. Sie haben Angst vor der Taliban und ich habe auch Angst“, gibt er zu. Kurz vor dem Ziel, kurz bevor seine Frau – die Familienzusammenführung ist seit 2017 beantragt – ein Visum bekommt, eskaliert die Situation in Kabul.

Neu-Isenburg - Die Lage ist unübersichtlich: „Sie sagt, sie geht seit Tagen nicht aus dem Haus. Wir telefonieren jeden Tag, sie weint jeden Tag“, erzählt der Mann und auch seine Augen füllen sich mit Tränen. Für seinen Vater sei die Lage auch schwierig, aber für ihn komme eine Flucht nicht in Frage. Aber seine Frau, sie müsse so schnell wie möglich aus dem Land.

Aamun S. ist schon seit 2013 in Deutschland. Er arbeitet in Kabul als Fahrer für die Welthungerhilfe, als Mitglieder der Taliban ihn immer wieder nach den Fahrtstrecken fragen. Als er die gewünschte Auskunft nicht gibt, bedrohen sie den heute 35-Jährigen. Sein Vater drängt auf eine Flucht, gibt ihm Geld. Schleuser bringen ihn mit falschen Papieren über Doha nach Düsseldorf. Über das Aufnahmelager in Gießen landet Aamun S. in Neu-Isenburg. Hier hat der Afghane Glück: Michael Kaul von der Flüchtlingshilfe und Inge Ammon, die selbst Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mit ihrem Mann für zweieinhalb Jahre in Afghanistan gelebt und für den Deutschen Entwicklungsdienst gearbeitet hat und sogar ihre Tochter in Kabul auf die Welt gebracht hat, kümmern sich um dem jungen Mann.

Der Asylantrag von Aamun S. scheitert zunächst. Mit Unterstützung eines Isenburger Anwalts, der auf Asylverfahren für Menschen aus Afghanistan spezialisiert ist und mit Papieren, die bestätigen, dass er für die Welthungerhilfe arbeitete, bescheidet eine Richterin vor dem Verwaltungsgericht, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihn anerkennen muss. Aamun S. hat in Neu-Isenburg eine Wohnung, er geht einer regelmäßigen Arbeit nach und ist damit berechtigt, seine Frau aus Afghanistan zu sich nach Deutschland zu holen. „Die Hürden der Bürokratie sind hoch“, ist Inge Ammon diesen beschwerlichen Weg mit Aamun S. gegangen – ein dicker Ordner mit vielen Schreiben ist der Beweis.

Das Problem: Die Frau braucht ein Visum zur Einreise nach Deutschland. Die deutsche Botschaft in Kabul stellt seit einem Bombenanschlag im Jahr 2017 keine Visa mehr aus. Ausreisewillige müssen nach Indien, in die deutsche Botschaft nach Neu-Delhi. Schon 2019 trifft sich das Paar dort. Sie werden weggeschickt, weil sie keinen Termin haben. Nach dem sich der Prozess über zwei weitere zwei Jahre mit viel Schriftverkehr unnötig in die Länge zieht, gibt es diesen so ersehnten Termin endlich: Am 20. September, in wenigen Wochen, soll die Ehefrau von Aamun S. in Neu-Delhi ihr Visum abholen.

Es sah so aus, als könne der Isenburger seine Frau bald nach all den Jahren endlich in die Arme schließen: „Jetzt hat unser Präsident den Taliban das Land verkauft“, ist Aamun S. erschüttert. Das Land ist im Ausnahmezustand. Der Weg zum Flughafen ist derzeit nicht passierbar, es gibt Straßensperren der Taliban und außerdem keinen Flugverkehr nach Indien mehr. Über die Nachrichten, über Youtube, wo die afghanischen Nachrichten einen Tag zeitverzögert erscheinen, über Facebook, saugt er jedes Detail aus Afghanistan auf.

„Es ist wirklich ein Drama“, sagt Michael Kaul, „wir haben Angst um die Frau. Wir werden uns jetzt um jede Möglichkeit bemühen, wie sie nach Neu-Delhi gelangen kann, möglicherweise auch über einen Umweg aus Kabul heraus“, kündigt Kaul Unterstützung an. Aamun S. klammert sich an die Hoffnung, dass seine Liebste möglicherweise über einen der Rettungsflüge der Bundesregierung oder der Amerikaner außer Landes gebracht werden könnte. Dies schließen Inge Ammon und Michael Kaul nahezu aus. Sie braucht das Visum der Botschaft in Indien, um in Deutschland einzureisen. Das ist auch ihr Recht: „Familienzusammenführung ist kein Good Will – es steht dem Ehepaar zu, gemeinsam in Deutschland zu leben“, hofft Michael Kaul auf eine baldige Lösung für das Paar.

Von Nicole Jost

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