1. Startseite
  2. Region
  3. Neu-Isenburg

Altes Rathaus: Verzicht auf Wiederaufbau ist vertane Chance für Neu-Isenburg

Erstellt:

Von: Holger Klemm

Kommentare

Der Verein zum Wiederaufbau des Alten Rathauses hatte ein Teilmodell zum Tag des Denkmals aufgebaut. Mit dabei ist Pfarrer i. R. Matthias Loesch (Zweiter von rechts).
Der Verein zum Wiederaufbau des Alten Rathauses hatte ein Teilmodell zum Tag des Denkmals aufgebaut. Mit dabei ist Pfarrer i. R. Matthias Loesch (Zweiter von rechts). Foto: postl © -Postl

Die parlamentarische Beratung zur Gestaltung des Marktplatzes im Alten Ort in Neu-Isenburg nähert sich dem Ende. Am Montag tagt dazu der Bauausschuss. Bei der Bürgerbefragung wurde der Vorschlag zum Wiederaufbau des Alten Rathauses nicht berücksichtigt. Matthias Loesch, ehemaliger Pfarrer der Marktplatzkirche, bedauert das sehr und stellt in einem umfangreichen offenen Brief gute Gründe für das Projekt dar, über die seiner Meinung nach zu wenig gesprochen wurde. Er sieht eine vertane Chance.

Ausführlich geht Loesch auf die Bedeutung der Erinnerungskultur ein, die eine bleibende Aufgabe sei. Erinnerungskultur vor Ort heiße, auf Spurensuche zu gehen, „nach dem, wo wir herkommen und was uns als Erbe überkommen ist“. In Neu-Isenburg sei kein Ort so prädestiniert dafür wie der Alte Ort, die Keimzelle der Flüchtlingsgemeinde der Hugenotten. Dort könnte Erinnerungskultur in besagtem Sinne lebendig gemacht werden – als Orientierung für das Heute und das Morgen. Ärgerlich findet Loesch, dass der Marktplatz immer wieder allein auf den Aspekt als „Event-Location“ reduziert werde.

Er bedauert, dass die von einem Förderverein getragenen Ideen zum Wiederaufbau bereits vor der Entscheidungsfindung vom Stadtparlament verworfen wurden. Dabei sei das Projekt durchaus sinnvoll. Loesch verweist auf das Teilmodell, das vom Förderverein zu Tagen des offenen Denkmals gezeigt wurde. Dabei sei deutlich geworden, dass der Marktplatz dadurch nicht zugebaut werden würde.

Laut Loesch sei Neu-Isenburg wohl weit und breit die einzige Stadt, die ihr Wahrzeichen abgerissen und nicht wiederaufgebaut habe. „Das historische Rathaus hat zudem ein Alleinstellungsmerkmal, da es nirgendwo ein baugleiches Gebäude gibt.“

Es sei ein Sinnbild und einzigartiges Identifikationsobjekt. Umso schwerer verständlich sei es, dass darauf kategorisch verzichtet werde. Ein Wiederaufbau des Rathauses würde aber nicht nur die Wunde im unvollständigen historischen Ensemble heilen, sondern auch – wieder im Sinne der Erinnerungskultur – in herausragender Weise dokumentieren, dass Flüchtlinge „hier einst eine von der Obrigkeit beschirmte Freistatt hatten“. Das Alte Rathaus könnte das kulturelle Leben der Stadt bereichern und sei vielseitig verwendbar. Loesch macht dazu zahlreiche Vorschläge: So könnten dort beispielsweise neben einer gastronomischen Nutzung auch ein touristisches Schaufenster und ein Lernort zur Stadtgeschichte entstehen. Als „Gudd Stubb“ könnte es für besondere Anlässe genutzt werden. Und entgegen Vorurteilen wäre das wieder errichtete Rathaus kein Fest- und Feierverhinderer, sondern im Gegenteil eine Aufwertung.

Mit einem Wiederaufbau würden sich Chancen für die Stadt und die Bürgerschaft auftun, „die wir nicht verpassen und verspielen sollten“. Denn es gehe nicht nicht um „billige Folklore“ oder „nostalgische Spinner“, sondern um einen Ort, wo „wir etwas lernen darüber, was unverzichtbares Erbe unserer Stadtgeschichte für Gegenwart und Zukunft ist“.

Loesch zitiert eine jüdisch-chassidische Weisheit: „Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit.“ Es gehe darum, das zu dokumentieren.  hok

Auch interessant

Kommentare