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Auf alten Fotos aus Neu-Isenburg geht’s um die Wurst

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Die Vergangenheit: Diese Aufnahme zeigt Mitarbeiterinnen der Wurstfabrik Luft vermutlich um 1916. Sie stammt aus einem großen Fotofund aus dem Nachlass der Familie Leukroth aus Böblingen.
Die Vergangenheit: Diese Aufnahme zeigt Mitarbeiterinnen der Wurstfabrik Luft vermutlich um 1916. Sie stammt aus einem großen Fotofund aus dem Nachlass der Familie Leukroth aus Böblingen. © -

Bei der Recherche der Stadtgeschichte und lokaler Geschichten geht es manchmal um die Wurst. Im aktuellen Fall befinden sich diese in Konservendosen und wurden in Neu-Isenburg hergestellt. Die Historikerin Dr. Heidi Fogel hat sich im Auftrag des Vereins für Geschichte, Heimatpflege und Kultur (GHK) mit der Entwicklung der Wilhelm Luft Wurst- & Fleisch-Konserven-Fabrik in der Schleussnerstraße beschäftigt, nachdem bei einer Haushaltsauflösung in Böblingen bei Stuttgart alte Bilder der Produktionsstätte gefunden wurden.

Neu-Isenburg - Aus den Fotos und verschiedenen Dokumenten über das Unternehmen ist eine 36 DIN A4-Seiten umfassende Broschüre entstanden, die in Buchhandlungen für zehn Euro angeboten wird. Dr. Heidi Fogel mag die kleinteilige Arbeit. Sie liebt die Details, die aus den Erzählungen alter Dokumente in Erinnerung gerufen werden. Auf dem Fußboden ihres Arbeitszimmers hatte sie während ihrer Recherchearbeit tagelang viele Seiten Papier verteilt, um den Überblick der Unternehmens- und Familiengeschichte der Wilhelm Luft Wurst- & Fleisch-Konserven-Fabrik zu behalten und die Erkenntnisse aus Eintragungen in Geburts-, Heirats- oder Sterbeurkunden zu sortieren. Die Rekonstruktion der Familiengeschichte der Lufts sei schwierig gewesen, sagt die Historikerin. „Der Vorname Wilhelm wurde oft vergeben. Und wer nicht Wilhelm hieß, wurde Friedrich oder Lorenz genannt.“

Der Impuls für die Aufarbeitung der Geschichte der Wursthersteller kam im Februar 2020 aus Böblingen von Thorsten Pohl, dem nach Darstellung von Bürgermeister Herbert Hunkel bei einer Wohnungsauflösung der Familie Leukroth knapp 30 rund 100 Jahre alte Schwarz-Weiß-Fotos aus der Wurstfabrik in Neu-Isenburg in die Hände fielen. Der Finder stellte die bisher unbekannten Bilder dem Geschichtsverein GHK in Neu-Isenburg kostenlos zur Verfügung. Damit war das Fundament für die Broschüre über die Wurstproduktion gelegt.

Die Fabrik befand sich in dem historischen Backsteingebäude, das bis vor einigen Jahren der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein diente. Um die Wurst ging es in der Produktionsstätte aber gar nicht so lange. Mit scharfen Messern zerteilten die Metzger in der Halle nach den Erkenntnissen der Historikerin in den Jahren zwischen 1914 und 1919 das Fleisch. Wie die alten Fotos zeigen, waren bei der Produktion der Frankfurter Würstchen aus Neu-Isenburg auch viele Frauen im Einsatz.

Wie viele Menschen in der roten Produktionsstätte in der Riedstraße, so hieß die Schleussnerstraße damals, beschäftigt waren, darüber hat Fogel in den Unterlagen keine Angaben gefunden. Auch über die Arbeitsbedingungen oder die Höhe des Stundenlohnes gibt es keine Informationen. Interessant sei allerdings, dass die Fabrik offensichtlich als kriegswichtiges Unternehmen eingestuft wurde. Die Fotos aus dem Jahr 1916 und dem Winter, der wegen der Lebensmittelknappheit im Ersten Weltkrieg auch Steckrübenwinter genannt wurde, zeigen, „dass die Arbeiter bei Luft in vollem Gang produzierten und sie vom Kriegsdienst freigestellt wurden“, so Fogel.

In den 1920er Jahren ging die Wurstfabrik an die „Reichsmonopolverwaltung“ und nach dem Zweiten Weltkrieg an die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein über. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (Gewobau) hat das Gebäude, das Grundstück sowie zwei benachbarte Parzellen in der Hugenottenallee 150 und 168 gekauft. Die Gesamtfläche des Areals, das Teil des Neubaugebiets Stadtquartier Süd wird, beträgt knapp 3,5 Hektar.

In dem nicht unter Denkmalschutz stehenden Backstein-Ensemble sollen eine Kita, Wohnungen und eine Markthalle entstehen. Auf die Frage, ob und wie in der künftigen Markthalle die Historie der Wurstfabrik wieder lebendig werden könnte, sagt Hunkel, er könne sich vorstellen, dass dort künftig einige der in der Broschüre veröffentlichten Fotos zu sehen sind. Außerdem werde die Gewobau den alten Fliesenfußboden erhalten.  air

Historikerin Dr. Heidi Fogel – hier vor dem historischen Gebäude in der Schleussnerstraße – hat die Unternehmens- und Familiengeschichte von Wilhelm Luft in einer neuen Broschüre zusammengestellt.
Historikerin Dr. Heidi Fogel – hier vor dem historischen Gebäude in der Schleussnerstraße – hat die Unternehmens- und Familiengeschichte von Wilhelm Luft in einer neuen Broschüre zusammengestellt. © air

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