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Die Besonderheiten der Neu-Isenburger Mundart

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Alte Fotos von markanten Punkten der Stadt finden sich auf der Rückseite des Büchleins zur „Neu-Isenburger Mundart“. 	repro: postl
Alte Fotos von markanten Punkten der Stadt finden sich auf der Rückseite des Büchleins zur „Neu-Isenburger Mundart“. repro: postl © postl

Das Neu-Isenburger Stadtarchiv nahm das Corona-Jahr 2021, in dem eigentlich das Fest „20 Jahre publikumsoffenes Stadtarchiv“ angestanden hätte, zum Anlass, sich mit der Isenburger Mundart zu beschäftigen. Unter der Federführung von Gerhard H. Gräber und Stadtarchivarin Claudia R. Lack hat der Magistrat ein kleines Büchlein über die Entstehung der „Iseborjer Mundart“ herausgegeben. Der langjährige Lokalpolitiker Gräber hat einen besonderen Zugang zu Dialekt und Heimatgeschichte, die ihm am Herzen liegen. Er gilt vielen als „Mundart-Papst“.

Neu-Isenburg - Das Büchlein, das bei der Zusammenarbeit entstanden ist, enthält neben einer Bebilderung vom Grundriss der Gründungszelle von Neu-Isenburg einiges über das Leben in der Hugenottenstadt bis hin zu den Keimzellen der Mundart. Hinzu kommt eine Sammlung von Wörtern und Redewendungen.

Viele haben ihren Ursprung im Französischen, was in einer von französischen Glaubensflüchtlingen gegründeten Siedlung keine Überraschung ist. Dies beginnt bei allgemein gebräuchlichen Bezeichnungen wie Etage, Garage oder Balkon und geht über Bonbonniere, Coupé und Coiffeuse bis hin zu en vogue, Etablissement oder auch Chaiselonge – womit man ein Sofa bezeichnet. Ein Chateaubriand dürfte nur in besseren Haushalten bekannt sein, dies gilt auch für ein Bellverdersche als kleiner Aussichtspunkt oder ein Balkönchen. Ein Bonviant ist ein Lebemann. Und Fisematenten kommt von Visitez ma tente und ist eine Redewendung aus napoleonischer Zeit, und bedeutet Unsinn oder Blödsinn.

Die Neubürger hatten auch mit Existenzängsten, Armut und ihrer strengen Kirchendisziplin zu kämpfen. „Sie saßen hier in Neu-Isenburg an einer wichtigen Handelsstraße mit den Sprendlingern als Nachbarn, die sich über die Neuen ärgerten, weil sie ihr Vieh nicht mehr auf dem Land, das jetzt zu einem Dorf geworden war, weiden lassen durften“, berichtet Claudia R. Lack. Auf der Nordseite in Richtung Frankfurt wurden die Fremden ebenfalls mit Misstrauen und Argwohn beobachtet. Um sie unter Kontrolle zu halten, wurde das Frankfurter Haus errichtet. Die Lage an der belebten Handelsstraße zog neue Bewohner an und so ging es recht schnell, dass die Franzosen bald nicht mehr unter sich waren. „So fanden Französisch, Hessisch und Deutsch zueinander und es bildeten sich Worte, die es ohne diese vielfältigen Verbindungen heute so nicht geben würde“, erklärt Gerhard H. Gräber jene Kreationen, die zur speziellen „Isenborjer Mundart“ führten.

Als bedeutende Keimzellen entwickelten sich Treffpunkte wie die Apfelweinkelterei Föhl oder das Gasthaus Zum Grünen Baum. Gräber nennt als „Quellen“ der Mundart, die manchmal auch ein bisschen vulgär war, vor allem die Kneipenabende oder Sechserpartien, die in den Apfelweinwirtschaften gespielt wurden. Auch auf den Sportplätzen waren „Utznamen“, die nicht immer leicht für die betroffene Person zu ertragen waren, verbreitet. „Wir haben mehr aus nostalgischen Gründen; und damit ein gewisses Bewusstsein für die sprachliche Vergangenheit bleibt, verschiedene verballhornende Worte, sowie die eine oder anderer Redensart in unserem Büchlein zusammengetragen“, erklärt Gräber. Im Isenburger Dialekt wurden noch bis in die 60er Jahre viele Begriffe aus dem Französischen verwendet. Diese, ebenso wie die Mundart an sich, sind mittlerweile weitestgehend verschwunden und werden nur noch von den alten „Iseborjern“ oder scherzhaft verwendet.

Die Wortbeispiele beginnen mit „aageschisse komme“ schon mal deftig. Doch wer kennt „en aarm Siggar“ – also einen finanziell nicht gerade gut dastehenden Menschen? Die „Aabeemick“ (WC-Fliege) dürfte da noch etwas geläufiger sein. Aber wie ist es mit Breebeledibbe oder Brummdopsch? Und für „daab“ gibt es gleich mehrere Bedeutungen – nämlich taub oder wenn eine Speise etwas „ungewürzt“ schmeckt. Erklärungen gibt es aber auch für „e Brutsch ziehe“, den Feuermerschel oder garnet estemiern, was ignorieren bedeutet. Wer hat schon mal was von einer Gewidderoos – abfällig für ein jähzorniges Mädchen – gehört? Und wenn diese dann auch noch „herndaab“ ist? „Hab ich a Kolder im Maul?“ wird wohl jener nachfragen, der sich vermeintlich unklar ausgedrückt hat. Die Sammlung des „Iseborjer Kulturgutes“ ließe sich fortsetzen.

Damit dies alles nicht gänzlich verloren geht, haben Gerhard H. Gräber und Claudia R. Lack das sehr lesenswerte Büchlein zusammengestellt. Es ist im Stadtarchiv erhältlich.  lfp

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