Junger Pfarrer in Neu-Isenburg
Einer von „Gottes Bodenpersonal“
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Seit einem Jahr ist Ansgar Leber Pfarrer der evangelisch-reformierten Marktplatzgemeinde, die ja Keimzelle der Hugenottenstadt ist. Viel Zeit zum Eingewöhnen blieb dem 30-Jährigen nicht, da bereits einiges auf der Agenda stand. Die Vielfalt in seinem Beruf schätzt er sehr – ebenso wie das Leben in Neu-Isenburg: „Ich bin gerne hier.“
Neu-Isenburg - Eigentlich ist Leber nicht mit großen Vorstellungen in seine erste Gemeinde als Pfarrer gekommen. „Ich wollte erst einmal zuhören, kennenlernen und in Gesprächen herausfinden, was die Themen hier sind.“ Dann wollte er in guter basisdemokratischer Tradition der reformierten Kirche, die nicht so hierarchisch auf den Pfarrer hin ausgerichtet ist, gemeinsam Ziele erarbeiten. „Doch ich wurde gleich ins kalte Wasser geschmissen.“ Es war die Zeit, als es galt, so langsam aus dem Corona-Winter herauszufinden und wieder mit Veranstaltungen zu starten. Hinzu kamen Änderungen auf organisatorischer Ebene, Personalwechsel und Umbauarbeiten durch die Einrichtung des gemeinsamen Gemeindebüros von drei evangelischen Gemeinden. „Ich habe noch nie Böden oder Büromöbel ausgesucht.“
Nicht gerechnet hat er mit der hohen Zahl an Beerdigungen. Am Ewigkeitssonntag mussten die Namen von 39 Personen verlesen werden, die ihren Familien und der Gemeinde schmerzlich fehlen. Leber hat sich vorgenommen, eine gewisse Distanz aufzubauen. Doch das ist für einen Pfarrer nicht einfach, der an Schwellen- und Wendepunkten im Leben auch als Seelsorger gefragt ist.
Ein wichtiges Thema sei die Jugendarbeit gewesen. Erfreulichweise gebe es ein großes Interesse in allen evangelischen Gemeinden Neu-Isenburgs. Viele Angehörige des Konfirmationsjahrgangs, der von Leber, seiner Kollegin Silke Henning (Johannesgemeinde) und Gemeindepädagoge Bernd Giring betreut wurde, wollen weitermachen, nicht nur im kirchlichen Rahmen, sondern auch im Jugendforum. Doch da fehle es in den Gemeinden noch an Kapazitäten für eine gute Betreuung der Jugendlichen, die ja die Zukunft der Kirche sind. Leber hofft, dass dafür eine Lösung gefunden wird.
Ihm gefällt die Vielfalt in Neu-Isenburg, die Mischung aus städtischem und dörflichem Leben, von Moderne und Tradition. „Über einem fliegen die Flugzeuge hinweg, bei Spaziergängen oder Radtouren in der Gemarkung kann man noch Kutschen sehen.“ Es gebe die Läden von Modeketten im IZ, aber auch noch traditionelle Läden wie Feinkost Kümmerle oder das von einer älteren Dame geleitete Reisebüro. Zudem seien die Menschen „warmherzig und offen“. Während seines Studiums lebte er auch in Hamburg und Berlin, wo er keine Nachbarn kannte. In Neu-Isenburg wird er auf der Straße freundlich gegrüßt, was natürlich auch mit seiner Rolle als Pfarrer und Religionslehrer in der Wilhelm-Hauff-Schule zu tun hat. Hinzu komme das lebendige Vereinsleben.
Als noch junger Pfarrer hat er eine Gemeinde mit großer Tradition übernommen, die zudem von Matthias Loesch über Jahrzehnten geleitet wurde – mit anschließender Vakanz. Leber stehe im Austausch mit seinem Vorgänger, der weiter in einigen Ausschüssen aktiv ist, und freut sich, bei Fragen auf dessen großen Wissensschatz zurückgreifen zu können.
Natürlich setzt Leber schon durch den Altersunterschied zu seinem Vorgänger andere Akzente. Seine Maxime sei da der Paulus-Spruch: „Prüfe alles und behaltet das Gute“. Dabei ist es ihm wichtig, die Gemeinde mit einzubeziehen. Bei allem positiven Zuspruch, den er erfährt, gibt es aber auch kritische Stimmen – wegen der Nutzung der gendergerechten Sprache. Entsprechende Reaktion habe es da schon direkt nach den Predigten gegeben. „Wo es Reibung gibt, entsteht auch Wärme“, steht er der Kritik aufgeschlossen gegenüber. Es gibt seiner Meinung nach keinen Zwang zur Nutzung einer gendergerechten Sprache. Doch er will das für sich. „Die Kirche ist da schon weiter und moderner als viele denken. Das stärkt mich.“
Wichtig sind ihm die Gottesdienste, um die Kraft des Glaubens und der christlichen Botschaft weiterzugeben und zum Strahlen zu bringen. Als Pfarrer einer reformierten Gemeinde sei er in der Gestaltung freier als seine lutherischen und katholischen Kollegen. Neben den Sonntagsgottesdiensten, die nach der Pandemie erfreulicherweise immer besser besucht werden, gebe es noch andere Möglichkeiten. Leber nennt die Gottesdienste in Pflegeheimen. „Vor Menschen mit Demenz kann ich nicht mit langen Predigten kommen.“ Da müsse die Ansprache anders laufen, was ihm viel Freude bereitet.
Mit der Ausarbeitung einer Predigt zum vorgegebenen Bibeltext sei viel Arbeit verbunden. Ihm ist es wichtig, schöne Einfälle zu haben. Er ist aber auch selbst gerne als Besucher bei Gottesdiensten wie kürzlich beim ersten gemeinsamen der evangelischen Gemeinden. Mit 80 Besucherinnen und Besuchern sei die Resonanz erfreulich groß gewesen.
Die engere Zusammenarbeit der Neu-Isenburger Gemeinden hat aber auch den ernsten Hintergrund, dass die Zahl der Kirchenmitglieder immer weiter zurück geht.
„Zu den 39 Verstorbenen im vergangenen Jahr kam bei uns bestimmt die gleiche Zahl an Kirchenaustritten“, so Leber, der die Kirche in einer Krise sieht. Der Pfarrer sieht da auch Versäumnisse in den vergangenen Jahren. So habe die Kirche zu wenig die Frage nach dem Glauben und dessen Bedeutung gestellt. Auf die Rückgänge müsse mit Strukturreformen reagiert werden, was Einschränkungen bei den Kontakten mit „Gottes Bodenpersonal“ mit sich bringe, wie er die Pfarrerinnen und Pfarrer nennt. Allerdings sei die engere Zusammenarbeit auch als Chance zu sehen, neue Ideen umzusetzen.
Nach Hobbys befragt, nennt der 30-Jährige neben Radtouren die Arbeit im Garten vor dem Pfarrhaus. „Das ist eine neue und schöne Erfahrung, mit Spaten und Schaufel umzugehen.“ Das sei ein Ausgleich zum Schreiben und Denken. Mit seinem Vater und seiner Lebensgefährtin besitzt er zudem eine Streuobstwiese im Odenwald und produziert dort eigenen Apfelwein – „nur sortenrein“ aus alten Apfelkulturen. „Der Neue schmeckt echt gut“, kann Leber nach einem ersten Probieren sagen.
Im vergangenen Jahr hat er schon eigenen Apfelwein beim Altstadtfest gegen Spende für die marode Kirchturmuhr ausgeschenkt. Und auch in diesem Jahr wird die Gemeinde den Apfelwein des Pfarrers probieren können.
Von Holger Klemm