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Erinnerungen an das alte Neu-Isenburg

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Von: Holger Klemm

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So sah die erste Klasse an der Waldschule aus, in die Willi Hofmann 1932 eingeschult wurde. Er schreibt von strengen Lehrern, aber auch von schönen Schulfesten mit Wettbewerben wie Eierlaufen oder Sackhüpfen.
So sah die erste Klasse an der Waldschule aus, in die Willi Hofmann 1932 eingeschult wurde. Er schreibt von strengen Lehrern, aber auch von schönen Schulfesten mit Wettbewerben wie Eierlaufen oder Sackhüpfen. © -privaz

Von einem Schatz für das Stadtarchiv spricht Bürgermeister Herbert Hunkel und meint damit die Erinnerungen des 95-jährigen Willi Hofmann. Dabei wird das alte Neu-Isenburg lebendig. Der Wert solcher Aufzeichnungen von Zeitzeugen könne gar nicht hoch genug geschätzt werden. „Diese Berichte sind für das Gedächtnis einer Stadt unverzichtbar und gleichzeitig viel lebensnäher als jedes Geschichtsbuch“, so Hunkel.

Neu-Isenburg - Die Erinnerungen an die Jahre 1926, dem Geburtsjahr von Willi Hofmann, bis 1950 umfassen fast 50 Seiten – mit jeder Menge Details zum damaligen Leben und auch den Besonderheiten der Bevölkerung. Auch wenn der 95-Jährige seit dem Tod seiner Frau bei der Schwester in Urberach lebt, fühlt er sich seiner Heimatstadt immer noch verbunden und ist dort regelmäßig. „Alles, was mit Neu-Isenburg zusammenhängt, interessiert mich nach wie vor“, betont Hofmann.

So las er eines Tages einen Artikel über die Erinnerungen einer Isenburgerin. Gleichzeitig wurde erwähnt, dass weitere Artikel dieser Art erwünscht seien. So nahm Hofmann Kontakt zu Claudia Lack vom Stadtarchiv auf. Nach dem Gespräch machte sich der Senior ans Schreiben – mit Erfolg. Die ersten sechs Jahre fanden im Familien- und Bekanntenkreis ebenso wie bei der Stadt großen Anklang und bestärkten ihn, weiter zu schreiben. Hofmann: „So sitze ich zwar hier in Urberach, aber im Herzen bin ich immer in meiner Heimatstadt.“

„Ich bin durch Zufall immer die Treppe hochgefallen. Wenn es nicht mehr weiterging, hat sich plötzlich etwas eröffnet“, blickt der 95-Jährige zurück. Danach sah es zu Beginn gar nicht aus. Denn Hofmann kam im Februar 1926 in der Frankfurter Straße 125 als uneheliches Kind zur Welt. Die noch zu jungen Eltern lebten selbst bei ihren Eltern und konnten keine Familie ernähren. So erhielt er den Nachnamen seiner Mutter Schulz und wurde in die Obhut der Großeltern gegeben. Seine Großmutter hatte schon acht Kinder, „ich war dann halt das neunte Kind, der Hahn im Korb“. In der Doppelhaushälfte wohnten drei Generationen. Im Garten fanden sich das obligatorische Häuschen mit dem Herzen und eine Jauchegrube. „Immerhin hatten wir fließendes, kaltes Wasser und elektrisches Licht.“ Wichtig war aber eine Öllampe wegen der häufigen Stromausfälle.

„Mein Leben bei Oma und Opa war für mich ein Glücksfall, erfuhr ich doch durch sie viel Liebe und Zuneigung.“ Hofmann spricht von einer behüteten Kindheit. Seine Eltern konnten endlich 1929 heiraten. „Der Makel, ein uneheliches Kind zu sein, wurde am 21. Januar 1929 getilgt und ich erhielt standesamtlich den Namen Hofmann.“

Einmal als Kind durfte er durch das Fenster einen Mann mit einem Braunbären beobachten, der für seine Darbietung Geld sammelte. Doch das Erlebnis wurde für ihn in jungen Jahren zum Albtraum. Er wurde nachts wach, weinte und beruhigte sich erst, wenn er in den Arm genommen wurde und ein Gefühl der Geborgenheit spürte.

„Die Frankfurter Straße war nicht nur die Hauptstraße, sondern auch ein wichtiger Zubringer für Frankfurt. Die Gärtner und Bauern aus dem Umland benutzten sie gerne als den kürzesten Weg zum Frankfurter Markt. In der Frühzeit zu Fuß mit einer Kiepe.“ Hofmann beschreibt nicht nur genau, wie die Straßen ausgesehen haben, sondern auch Eigenarten der Isenburger. Dazu zählen beispielsweise die Vorlieben, die Endungen der Worte nicht auszusprechen sowie die Gasthäuser nach dem Besitzer zu benennen. Wenn beispielsweise ein Frankfurter einen Isenburger nach dem „Grünen Baum“ fragte, sagte dieser: „Grüner Baum? Wo soll das sein? Am Marktplatz! Ach, Sie maane de Perrot! Des kann ich Ihne saache.“ Zudem sei die Sprache des „welschen Dorfs“ das reine Kauderwelsch gewesen.

Eingeschult wurde er 1932 in die Waldschule, wo der Lehrer durchaus den Rohrstock zückte. „Mit der Einschulung war ich flügge geworden. Das nutzte ich, um meine Heimatstadt und deren nähere Umgebung zu erkunden.“

Die Tragweite der Machtergreifung der Nazis 1933 konnte der Siebenjährige natürlich nicht einschätzen. Seine sozialdemokratischen Großeltern seien entsetzt und ängstlich gewesen. So habe es Gerüchte gegeben, dass „namhafte Leute andersdenkender Parteien in einem Keller unter schlagenden Beweisen (im wahrsten Sinne des Wortes) zum Nationalsozialismus umerzogen wurden. Wir hatten eine schwarz-rot-goldene Fahne, die im Laufe des Jahres in schwarz-weiß-rot umgearbeitet wurde. Für eine Hakenkreuzfahne hatten wir kein Geld. Ein seltener Fall, in dem Armut etwas Positives war.“

Der überaus lesenswerte Bericht umfasst noch viele interessante Aspekte. Hofmann, der technischer Zeichner lernte, wurde Ende 1944 in den Krieg einzogen. „Doch ich war heilfroh, dass ich keinen Schuss abgeben musste.“ Nach der Rückkehr aus seiner Kriegsgefangenschaft in den USA gelang es ihm, trotz einiger Aufs und Abs wieder Fuß zu fassen. Willi Hofmann ist mit seinen Aufzeichnungen beim Jahr 1960 angekommen und will weitermachen. „Ich habe noch einiges aufzuschreiben.“

Bürgermeister Herbert Hunkel kündigt an, die Erinnerungen auf die Homepage des Vereins für Geschichte, Heimatpflege und Kultur zu stellen. Und vielleicht werden die Aufzeichnungen auch als Buch veröffentlich.

Von Holger Klemm

Der 95-jährige Willi Hofmann mit einem Ausdruck seiner Erinnerungen.
Der 95-jährige Willi Hofmann mit einem Ausdruck seiner Erinnerungen. © postl
Der Junge wuchs bei seinen Großeltern auf. Hofmann spricht von einer behüteten Kindheit.
Der Junge wuchs bei seinen Großeltern auf. Hofmann spricht von einer behüteten Kindheit. © -privat

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