Erster Arbeiterinnenstreik vor 125 Jahren in Neu-Isenburg

Mutige und starke Frauen haben vor genau 125 Jahren Geschichte geschrieben: 1897 gab es in Neu-Isenburg den ersten Arbeiterinnenstreik in Deutschland. Wäscherinnen legten damals ihre Arbeit nieder und gingen auf die Straße, um für Verbesserungen im Job zu kämpfen. Mit ihrer Solidarität und Ausdauer hatten die Frauen Erfolg. Nach siebenwöchigem Arbeitskampf wurde ein Dokument ausgehandelt, das ihre wichtigsten Forderungen erfüllte.
Neu-Isenburg - „Der Wäscherinnenstreik 1897“ hat in der Historie der Stadt einen festen Platz. Die Historikerin Dr. Heidi Fogel und Kulturanthropologin Beatrice Ploch haben die Geschichte recherchiert und in einem Buch veröffentlicht. Die Stadt erinnert mit einem Vortrag an den Streik und das Jubiläum des Arbeitskampfes. Die beiden Expertinnen erläutern am Donnerstag, 17. November, 18.30 Uhr, im Stadtmuseum, wie der damalige Berufsalltag der Frauen aussah und welche Erfolge die Wäscherinnen mit ihrem Protest erzielt haben.
Vor 125 Jahren gab es in der Stadt knapp 80 Wäschereien, in denen mehr als 200 Frauen schwer schufteten. Die wichtigsten Kunden waren wohlhabende Frankfurter Familien, bei denen die schmutzige Wäsche mit dem Handwagen abgeholt oder von Fuhrleuten angeliefert wurde.
Rund 200 Jahre, nachdem sich die ersten Glaubensflüchtlinge aus Frankreich im Wald südlich von Frankfurt mit Erlaubnis des Grafen Johann Philipp zu Ysenburg-Büdingen niedergelassen und den Ort Neu-Isenburg gegründet hatten, gab es unter den Hugenottinnen viele Expertinnen im Wäsche reinigen. Die Klamotten wurden zunächst in großen Wannen eingeweicht. Lehrmädchen transportierten das nötige Wasser in Bottichen von den Brunnen draußen im Hof auf Schubkarren herbei.
Die nasse und schwere Wäsche musste dann in Waschkessel gewuchtet werden. Darin wurden die Bettwäsche, Hosen, Hemden, Röcke, Tücher, Blusen und andere Kleidung unter ständigem Umrühren mit einem großen Holzlöffel gekocht und anschließend auf Waschbrettern geschrubbt. Zum Bleichen wurde die Wäsche auf die nahe gelegenen Wiesen gebracht und später gestärkt und gebügelt. Etwa zwei bis drei Tage vergingen, bis die Wäsche wieder zu den Kunden nach Frankfurt zurückgebracht wurde.
Die Frauen hatten einen harten Job. Sie mussten meist von 6 Uhr früh bis 23 Uhr abends arbeiten. Oft kamen Überstunden hinzu, die von der Mehrzahl der Wäschereibesitzer nicht bezahlt wurden. In der Summe wurde nicht selten 70 bis 90 Stunden in der Woche malocht.
Der durchschnittliche Stundenlohn lag bei acht, neun Pfennigen. Was war das wert? Ein Pfund Mehl kostete damals 18 Pfennige, somit so viel wie der Lohn für zwei Arbeitsstunden. Für ein Pfund Zucker musste 27 Pfennige gezahlt werden.
Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen und des geringen Gehalts waren die Wäscherinnen und Büglerinnen unzufrieden. Öffentlicher Protest war seinerzeit schwierig, da Frauen sich nicht politisch betätigen durften. Erlaubt war es allerdings seit 1892, Arbeiterinnenvereine zu gründen. Die Neu-Isenburger Wäscherin Elise Streb war eine der Wortführerinnen und Impulsgeberin für das Aufbegehren der Arbeiterinnen. Unterstützung gab es unter anderem von dem Neu-Isenburger Sozialdemokraten und Gewerkschafter Gustav Jacob Freitag und der in Frankfurt arbeitenden Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin Henriette Fürth. Mit ihrer Hilfe gründeten sie am 22. Juni 1896 den „Allgemeinen Frauen- und Mädchenverein“. Bis zum Ausbruch des Streiks war die Mitgliederzahl auf 174 angestiegen.
Mit dem Beginn der Streikaktion traten 1897 rund 130 Frauen in den Ausstand. Sie wünschten sich einen Normalarbeitstag von zehn Stunden, an den Waschtagen von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends, an den Bügeltagen von 8 bis 8 Uhr. Außerdem eine Frühstücks- und eine Vesperpause von je 20 Minuten und eine einstündige Mittagspause. Der Streik erforderte viel Durchhaltevermögen, denn die Wäscherinnen erhielten während der Zeit kein Geld, um ihre Familien zu ernähren. Hilfe kam für viele überraschend auch von bürgerlichen Frankfurter Frauenvereinen, die zu Spenden aufriefen. Sie drohten den Wäschereibesitzern und Arbeitgebern, ihre Wäsche nicht mehr in Neu-Isenburg reinigen zu lassen. Der Druck auf die Arbeitgeber wurde schließlich so hoch, dass sie auf die Forderungen der Frauen eingingen. air
