1. Startseite
  2. Region
  3. Neu-Isenburg

Fotoinszenierungen zum Nachdenken in der Neu-Isenburger Stadtgalerie

Erstellt:

Kommentare

Der Mainzer Moritz Koch zeigt seine Fotoproduktionen in der Neu-Isenburger Stadtgalerie.
Der Mainzer Moritz Koch zeigt seine Fotoproduktionen in der Neu-Isenburger Stadtgalerie. © postl

Kreativität. Können. Ausdauer. Beharrlichkeit. Organisationstalent. Ein großes Netzwerk. Es bedarf vielem, um eine Idee perfekt in Szene zu setzen und so groß choreografierte Fotos zu schaffen, wie Moritz Koch es immer wieder tut.

Neu-Isenburg - Zig Oldtimer aus den 60ern, dazu zahlreiche Schauspieler und unzählige Requisiten – das alles auf einem einzigen, inszenierten Foto: Es ist eine Welt mit ganz eigenen Maßstäben und Ansprüchen an ein Bild, in die der Fotokünstler aus Mainz derzeit die Besucher der Stadtgalerie mit seiner gesellschaftskritisch geprägten Ausstellung „The Wake Up Call 2“ mitnimmt.

Seine Fotoproduktionen erinnern an große US-Filmsets der 60er Jahre. „Seit einigen Jahren konzentriere ich mich auf eine ganz besondere Art der Fotografie“, erzählt der 22-jährige Autodidakt. Detailverliebt inszeniert wie ein Gemälde werden dabei ganze Straßen zum Motiv – auch wenn das bedeutet, dass Moritz Koch sich manchmal wochenlang mit dem Einholen von Genehmigungen bei verschiedenen Behörden befassen muss. Doch der Aufwand lohnt sich aus seiner Sicht. „Bis ins letzte Detail konzipiert ist mein Ziel, Welten zu schaffen, die durch kleine Verweise und Symbole Fragen zu unserem menschlichen Sein aufwerfen.“ Weit mehr als 100 ehrenamtliche junge Menschen, so erzählt er, waren beteiligt, um die sehenswerten Bilder zu schaffen, die derzeit in Isenburg gezeigt werden. Wie man so was hinbekommt, so viele Akteure, Stylisten und all den anderen Helfern für die aufwendigen Fotoshootings ins Boot zu holen? „Anfangs waren es Freunde, dann Freunde von Freunden, ich habe mir nach und nach ein großes Netzwerk aufgebaut“, erzählt Koch bei einem Rundgang durch die Ausstellung.

Die Weite der Stadtgalerie-Räume auf zwei Etagen über dem Bürgeramt gibt dem Betrachter genug Distanz, um die Bilder auf sich wirken zu lassen. „Kunst muss sich wieder mehr mit uns Menschen, der Gesellschaft sowie sozialen Problemen auseinandersetzen und darf nicht nur für eine kleine, elitäre Gruppe zugänglich sein, sondern für jede und jeden von uns“, sagt Koch. „Diese beiden Ziele sind mein Antrieb. Meine Kunst ist eine Einladung zum Nachdenken.“

Seine ein wenig wie Wimmelbilder inszenierten Arbeiten befassen sich teils mit Zukunftsprognosen. Es soll um politische Themen gehen, um die Schnelllebigkeit im Smartphone-Zeitalter, um menschliche Ideale und natürlich um den Klimawandel, der alles überzieht, weil er fundamentale Veränderungen mit sich bringt, die alle Menschen betreffen. Moritz Koch ist zudem daran gelegen, auf die Vergänglichkeit des Menschen aufmerksam zu machen, dazu aufzufordern, friedlicher zusammen zu leben und Rassismus aus den Köpfen zu verbannen.

Großen Wert legt der 22-Jährige deshalb auf die Kommunikation rund um die Bilder; beispielsweise mit einem 80-seitigen Katalog zur Ausstellung. Oder mit – teils auch neben den Fotos angebrachten – Verweisen zu Making-of-Videos. Denn es sei einfach schade, wenn das Interesse der Menschen verloren gehe, weil sie nichts mit der Kunst anfangen können. Doch Kochs Werke sollen auch durch ihre Ästhetik den Zugang zum Inhalt erleichtern: Auf den ersten Blick wirken die Welten heil und „schön“. Doch bei genauerem Blick auf die Details wird klar: Hier stimmt etwas nicht…

Nur eins von vielen im Bild „In happiness we die“ zu entdeckenden Details ist zum Beispiel der Statist am Straßenrand, dem die Stylistin für die Rolle des Metzgers eigens Ohren und Schweinenase angeklebt hat. „Der Metzger, der selbst ein Schwein ist, das finde ich eine gute Metapher“, sagt Koch und zielt auf Kritik an gedankenlosem Fleischkonsum.

Die Bilder dürfen beim Publikum gern starke Emotionen auslösen, die ihre Impulse auch dadurch erhalten, indem der Fotograf Brücken zwischen Fiktion und Realität baut. Das läuft manchmal über die Detailverliebtheit, mal abstrakt, mal plakativ.

Moritz Koch entdeckte schon früh seine künstlerischen Fähigkeiten, kreative Projekte begleiten den jungen Mainzer schon sein ganzes Leben lang (selbst seine Eltern lernten sich bei einem Fotografie-Kurs kennen). 2011 gründet er mit Freunden, inspiriert von seiner großen Schwester, der Schauspielerin Katarina Schmidt, „Das Märchenhaus, das kleinste Theater der Welt“ und schreibt zwei Märchenstücke. Ein Jahr später setzt er seine eigene regionale Internet-Zeitung aufs Gleis.

2019 bekommt er die Gelegenheit, seine Ausstellung „The Wake Up Call 2“ in der Mainzer Rathausgalerie zu zeigen. Die Isenburger Schau zeigt nun neben den bereits veröffentlichten Bildern auch neue. „The Wake Up Call 2“ wurde gerade verlängert und ist bis 11. Juni zu sehen. Die Ausstellung wird vom hiesigen Jugendforum unterstützt und von der lokalen Partnerschaft für Demokratie im Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert.

Derzeit jobbt der 22-Jährige bei einer TV-Produktion. Sein großes Ziel ist es aber, Regisseur zu werden – am liebsten mit einem Studium in München an der Filmhochschule. Man traut es ihm zu. Doch die Hürden für eine Aufnahme dort sind hoch. Sie zu nehmen, ist starke Motivation für seine Fotoprojekte.

Infos im Internet

studio-moritzkoch.de

Von Barbara Hoven

Wimmelbild mit vielen unerwarteten Details, die der Betrachter erst nach und nach entdeckt – zum Beispiel der Mann am linken Bildrand, der auf Jobsuche ist. Fast 50 Personen waren am Set für das Picknick-Shooting dabei.
Wimmelbild mit vielen unerwarteten Details, die der Betrachter erst nach und nach entdeckt – zum Beispiel der Mann am linken Bildrand, der auf Jobsuche ist. Fast 50 Personen waren am Set für das Picknick-Shooting dabei. © moritz koch

Auch interessant

Kommentare