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Gesprengter Geldautomat in Neu-Isenburg: Prozessauftakt

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Immer wieder werden Geldautomaten gesprengt. Nun steht ein mutmaßliches Mitglied einer Bande, die sich darauf spezialisiert hat, vor Gericht.
Immer wieder werden Geldautomaten gesprengt. Nun steht ein mutmaßliches Mitglied einer Bande, die sich darauf spezialisiert hat, vor Gericht. © einsatzfotos.tv

Ein Bild der Verwüstung bot sich den Polizeibeamten, die am frühen Morgen des 3. April 2019 die Commerzbank in der Offenbacher Straße in Neu-Isenburg betraten. Unbekannte hatten den Geldautomaten gesprengt – die Tresortür war in die gegenüberliegende Wand eingeschlagen, mehrere Deckenplatten lagen auf dem Boden, die Überwachungskamera wurde in den Deckenzwischenbereich geschleudert.

Neu-Isenburg - Einer der mutmaßlichen Täter sitzt seit gestern vor der Ersten Strafkammer des Landgerichts Darmstadt. Am ersten von sieben geplanten Verhandlungstagen will er sich nicht zu den Vorwürfen äußern.

Dem 32-jährigen Angeklagten wird vorgeworfen, an vier „Sprengeinsätzen“ von April bis August 2019 in Neu-Isenburg, Eschborn, Eisenach und Hofheim am Taunus beteiligt gewesen zu sein. Er soll Mitglied einer über 20-köpfigen Bande gewesen sein, die sich auf das Knacken von Bankautomaten mittels Explosion spezialisiert hatte. Sieben dieser Täter (22 bis 36 Jahre alt) wurden bereits vor zwei Jahren vor dem Landgericht Gießen zu Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren verurteilt. Der Angeklagte wurde erst im letzten Winter von Spanien ausgeliefert und sitzt seit sieben Monaten in Untersuchungshaft. Vor seiner Flucht wohnte er in Bad Soden.

Der Tathergang ist stets der gleiche und wird im Vorfeld konspirativ an verschiedenen Örtlichkeiten geplant. In Eschborn wird das benötigte Material in einem Baumarkt gekauft und in der Nähe gebunkert: Brechstange, Klebeband, dunkle Regenkleidung, Handschuhe, eine Sauerstoff- und eine Acetylengasflasche. Dann wird eine Bankfiliale – in den vier hier verhandelten Fällen ist es immer eine Commerzbank – ausgewählt und die Umgebung inspiziert. Eigene, gemietete oder gestohlene Pkws dienen als Arbeitsfahrzeuge. Kurz vor dem Eindringen in den Automatenraum setzt ein Bandenmitglied einen fingierten Notruf ab, um die Einsatzkräfte zu beschäftigen – während ein weiteres Mitglied sich an einer strategisch gut erscheinenden Stelle platziert, um den Verkehr zu beobachten: Im Isenburger Fall ist das die Autobahnabfahrt der 661. Als Ablenkungs-Notruf bekommen die Beamten einen erfundenen Einbruch in eine Sprendlinger Pizzeria serviert. Spektakulär ist die Irreführung im Eschborner Fall: Hier werfen vier Täter mit Kanaldeckeln mehrere Schaufensterscheiben ein, um die Einsatzkräfte zu binden.

Ist die Luft um die Bank herum rein, beginnt der verbotene Zugriff, an dem immer zwei bis drei Personen in den frühen Morgenstunden beteiligt sind. Mit dem Brecheisen wird das Bedienteil des Automaten aufgehebelt, dort mittels zweier Gasschläuche das Acetylen-Sauerstoffgemisch eingeleitet. Die Gasflaschen sind mit dem Griffteil eines Schweißbrenners verbunden, über welches die Gase dosiert und so in ein hochexplosives Gemisch verwandelt werden können. Die Zündung erfolgt, indem man über ein Elektrokabel und einem Taser Funken erzeugt.

In der Isenburger Filiale erbeuten die jungen Männer auf diese Weise vier der fünf Geldkassetten mit insgesamt 176 290 Euro. Der verursachte Sachschaden kommt mit rund 50 000 Euro noch oben drauf. Ähnlich sieht es am 2. Mai 2019 in Eschborn aus: 120 800 Euro Beute und 39 684 Euro Sachschaden.

Weniger erfolgreich ist die Ablenkungsstrategie in den Fällen drei und vier. In Eisenach werden die Einbrecher am 1. August 2019 auf der Flucht noch vor der Bank festgenommen. 315 590 Euro aus zwei Automaten gehen ihnen durch die Lappen. Sieben Tage später in Hofheim wartet ein Spezialeinsatzkommando und verhindert eine weitere Explosion zweier Automaten mit insgesamt 113 340 Euro. Vier weitere Täter werden festgenommen.

Neben der Verlesung der umfangreichen Anklageschrift ist noch ein Rechtsgespräch Gegenstand des ersten Sitzungstags. Kommt es hier zu einer Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten, könnte der Prozess erheblich abgekürzt werden.

Von Silke Gelhausen

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