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Lebensmittel in Neu-Isenburg vor dem Wegwerfen retten

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So voll ist der Schrank mit den Lebensmitteln bei der Johannesgemeinde nicht lange. Meistens werden Obst, Gemüse und anderes schnell abgeholt.
So voll ist der Schrank mit den Lebensmitteln bei der Johannesgemeinde nicht lange. Meistens werden Obst, Gemüse und anderes schnell abgeholt. © ritz

Die Organisation Foodsharing baut ihr Netzwerk in den vier Kommunen im Westen des Kreises Offenbach weiter aus, um die Lebensmittelverschwendung zu stoppen. In einem sogenannten Fairteiler-Schrank, der bereits in Langen und Dreieich steht und demnächst auch nach Egelsbach kommt, gibt es Backwaren, Konserven, Obst, Gemüse und vieles mehr. In Neu-Isenburg hat Foodsharing bei der Johannesgemeinde in der Friedrichstraße einen Platz gefunden, wo alle jederzeit kostenlos zugreifen können.

Neu-Isenburg - Manchmal entsteht vor dem zweitürigen, 1,90 Meter hohen und knapp einen Meter breiten Stahlschrank, der an der Ostseite der Kirche der Johannesgemeinde aufgestellt wurde, eine kleine Schlange. Fünf, sechs Menschen stehen hintereinander und warten geduldig ab, bis sie an der Reihe sind und hoffen, dass sie noch Lebensmittel in den Plastikkisten im Schrank finden.

„Ich studiere und wohne noch bei meiner Mutter“, sagt ein junger Mann, der ganz entspannt zusieht, wie sich die anderen vor ihm beim Obst und Gemüse bedienen und Konserven und anderes in ihre mitgebrachten Taschen stecken. „Wenn ich heute nichts mehr kriege, komme ich morgen wieder“, so der Neu-Isenburger. „Ich gehe hier immer mal vorbei und schaue, ob ich etwas mitnehmen kann.“ Ein älterer Mann vor ihm dreht sich um und sagt: „Ich habe hier bisher immer etwas gefunden. Ich bin schon über 80 und die Rente ist knapp. Ich bin froh, dass ich hier umsonst etwas zu essen bekomme.“

Armut hat viele Gesichter. Die Zahl der Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen und froh sind, kostengünstig oder gar kostenlos Lebensmittel zu erhalten, wächst. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland armutsgefährdet sei. Auch in der wirtschaftsstarken und reichen Stadt Neu-Isenburg leben viele Menschen, denen Geld fehlt.

„Der Schrank ist immer schnell leer“, sagt die Isenburgerin Silvia Szebedits, die sich im Verein Foodsharing Landkreis Offenbach-West, der vergangenes Jahr mit dem Sozialpreis der Rotary Clubs Dreieich-Isenburg und Offenbach-Dreieich ausgezeichnet wurde, engagiert. Auch Kerstin Albrecht, zweite Vorsitzende des Vereins, hat die Erfahrung gemacht, dass der Schrank in Neu-Isenburg „sehr stark in Anspruch genommen wird. Der Bedarf ist groß, viele Leute sind am Limit“.

Die aktiven Lebensmittelretterinnen und -retter, sogenannte Foodsaver, bestücken den Schrank bei der Johannesgemeinde regelmäßig mit Nahrung. Diese erhalten sie von Einkaufsmärkten, mit denen sie Kooperationsverträge haben, kostenlos.

Aber auch jede Bürgerin und jeder Bürger dürfe Lebensmittel in den „Fairteiler“ legen, sagt Silvia Szebedits. Hinweise am Schrank informieren darüber, was erlaubt ist und was nicht – wie etwa keine kühlpflichtigen Waren, kein Fleisch.

Ein Indikator der sozialen Lage der Gesellschaft ist die Speisekammer bei der katholischen Gemeinde St. Josef, die seit rund zwei Jahrzehnten Lebensmittel günstig an ärmere Bürger abgibt. Maria Sator-Marx, Leiterin der Speisekammer, spricht von steigenden Kundenzahlen. Während der Flüchtlingswelle 2016 hätten freitags bei St. Josef bis zu 150 Menschen Brot, Butter und anderes abgeholt. Später sei die Warteschlange kürzer geworden, doch seit dem Krieg in der Ukraine und der Aufnahme der Flüchtlinge kämen wieder viel mehr Leute zur Speisekammer. Die Zahl sei von 80 Kunden Ende 2021 auf heute bis zu 170 Kunden, die freitags im Gemeindezentrum erscheinen, gestiegen. Zusätzlich packen die Ehrenamtler der Speisekammer jede Woche ungefähr 25 Körbe mit Lebensmitteln für spezielle Kunden. Auf den Zetteln an den Körben ist beispielsweise zu lesen: Diabetiker, laktosefrei, keine Eier, kein Fleisch.

Die Organisation Foodsharing verfolgt das Ziel, die systematische Überproduktion und die daraus resultierende Verschwendung von Lebensmitteln zu stoppen. Ressourcen sollen geschont werden, indem genießbare Lebensmittel verwendet statt verschwendet werden. Die Aktivisten kämpfen auch gegen globale Ausbeutung sowie Hunger und Armut.

Das Problem der Lebensmittelverschwendung entsteht am Regal im Supermarkt und da kann es zum Teil auch gelöst werden. Weniger ist mehr. Laut Statistischem Bundesamt landen in Deutschland jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Pro Kopf entspreche das knapp 80 Kilogramm, die in privaten Haushalten weggeworfen werden.

Vereinssprecherin Kerstin Albrecht betont, dass Foodsharing immer die Tafeln sowie in Neu-Isenburg die Speisekammer im Blick habe. „Wenn die Speisekammer Lebensmittel abholt, treten wir zurück. Die Bedürftigkeit kommt immer zuerst. Wir nehmen der gemeinnützigen Organisation nichts weg“, so Albrecht.

Für Anfang Februar sei ein Treffen von Foodsharing mit der Speisekammer geplant, um über die Kooperation, die Koordination der Lebensmittelabholung und die Effizienz der Arbeit beider Gruppen zu sprechen. „Wir wollen den Menschen Erleichterung im Leben bringen“, sagt Albrecht.

Von Achim Ritz

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