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Mit der Ukraine emotional eng verbunden

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Von: Holger Klemm

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Jutta Loesch, die ein Sakko in den Nationalfarben der Ukraine trägt, könnte innerhalb weniger Tage einen Hilfstransport auf den Weg nach Beregovo schicken. Die Sammelstelle in der Hermannstraße ist gut gefüllt.
Jutta Loesch, die ein Sakko in den Nationalfarben der Ukraine trägt, könnte innerhalb weniger Tage einen Hilfstransport auf den Weg nach Beregovo schicken. Die Sammelstelle in der Hermannstraße ist gut gefüllt. © postl

Die Telefone stehen bei Jutta Loesch in Neu-Isenburg nicht mehr still, seit Donnerstagfrüh die russische Invasion in der Ukraine begonnen hat. Die Initiatorin des ökumenischen Hilfsprojekts „Täglich Brot für Beregovo“, die seit 20 Jahren die arme Bevölkerung in der westlichen Ukraine unterstützt und 26-mal dort war, muss ständig Fragen beantworten, versucht aber selbst, mehr über das Schicksal ihrer Schützlinge herauszufinden. Und sie überlegt, was in der aktuell schlimmen Situation getan werden kann.

Neu-Isenburg -„Viele fragen mich, was ich weiß und wie sie helfen können“, berichtet Loesch. Durch die jahrelangen Hilfs- und Spendenaktionen sind die Gedanken der Neu-Isenburger bei den Menschen in Transkarpatien. Sie seien emotionaler mit der Ukraine verbunden als andere. „Dafür bin ich sehr dankbar“, betont Loesch.

Schon in den frühen Morgenstunden am Donnerstag verfolgt sie mit ihrem Mann, Pfarrer i. R. Matthias Loesch, im Fernsehen die schockierenden Nachrichten vom Einmarsch der russischen Truppen auf Putins Befehl. Sofort gehen E-Mails nach Beregovo, um mehr zu erfahren – unter anderem an Bela Nagy, den Leiter des dortigen diakonischen Zentrums, Anlaufstelle für die Hilfslieferungen aus Neu-Isenburg. Doch eine Antwort bleibt erst einmal aus. Loesch probiert es über den Bruder von Nagy im nahe gelegenen Ungarn. Von ihm erhält sie die beruhigende Nachricht, dass es bislang allen in Beregovo einigermaßen gut geht. Der Westen des Landes sei bisher weniger vom Angriff betroffen. „Allerdings gab es auch Explosionen in Nachbarstädten“, weiß Matthias Loesch durch das Fernsehen. Einen Tag später kommt aus Beregovo die Mail von Nagy, dass es allen gut geht und alles getan wird, was sie können. Weitere Informationen gibt es nicht. Loesch rätselt nun, was der Satz genau bedeuten kann.

Konkreter ist da schon der Fall einer Zigan-Familie, die auf der Flucht aus der Ukraine ist. „Davon habe ich über die in Deutschland lebende Tochter erfahren“, berichtet Jutta Loesch. Die Familie hat sich auf den Weg zur nahen ungarischen Grenze gemacht. Schon Kilometer davor verhindern ukrainische Beamte das Durchkommen. Doch irgendwie schafft es die Familie ins rettende Nachbarland, wird allerdings mit an die 100 anderen Flüchtlingen in einen Raum zusammengepfercht. Jutta Loesch schaltet per Telefon einen befreundeten Pfarrer ein, der früher in Beregovo arbeitete und nun im Ruhestand in Ungarn wohnt. Dieser macht sich auf die Suche nach der Familie, findet sie und nimmt sie bei sich auf. „Da geht es ihnen gut“, so Loesch.

Nicht so gut läuft es allerdings für zwei Brüder der Familie, die weiter an der Grenze festgehalten wurden. Der 17-Jährige kann schließlich raus, der 18-Jährige muss zurück und soll sich bei der Armee melden. Denn Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren dürfen nicht mehr aus der Ukraine ausreisen. „Er versucht, in Pfarrhäusern unterzukommen, doch vergeblich“, erzählt Loesch. Der ukrainische Staat habe zwar zugesichert, niemanden aus Pfarrhäusern und Krankenhäusern zum Wehrdienst zu holen. Doch da hat ein Zigan wenig Chancen, unterzukommen. Die Mutter war übrigens eine enge Mitarbeiterin des Hilfsprojekts und kochte für ein Zigan-Dorf. „Doch leider ist sie an Corona verstorben“, so die traurige Mitteilung von Loesch.

Trotz der unübersichtlichen und scheinbar ausweglosen Situation in der Ukraine stellt Loesch Überlegungen zu Hilfsmöglichkeiten an. Sie geht davon aus, dass noch viele aus Beregovo nach Ungarn flüchten werden. Der befreundete Pfarrer soll ausfindig machen, in welchen Lagern diese untergebracht werden. „Dann könnte ich innerhalb weniger Tage einen Transport mit wichtigen Gütern dorthin schicken“, betont Loesch. Davon ist genug vorhanden, da der für November geplante Transport wegen der Situation in der Ukraine nicht zustande kam.

Übrigens haben Loesch und ihr Team jüngst einen Dreh gefunden, die dringend benötigten Hilfsgüter ohne aufwendige Zollkontrollen nach Beregovo zu bringen. So sei es erlaubt, Waren bis 20 Kilo über die Grenze zu bringen. Deshalb endeten einige Hilfstransporte aus Neu-Isenburg bereits in Ungarn in der Nähe der Ukraine. Mit eigens angeschafften Lastenrädern können die Waren so schnell über die Grenze zu den Bedürftigen gebracht werden. Und das kann vielleicht auch bei späteren Transporten hilfreich werden. Denn Matthias Loesch geht davon aus, dass viele Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet auch in der Westukraine landen und auf Hilfe angewiesen sind.

Gestern Abend um 18 Uhr gibt es eine Mahnwache für den Frieden und die Solidarität mit der Ukraine auf dem Marktplatz. Aufgerufen hatten SPD und FDP, andere Parteien und Organisationen schlossen sich an. „Ein derartiger Bruch des Völkerrechts darf nicht unkommentiert bleiben. Wir setzen uns mit der Mahnwache für den Frieden in Europa und der Welt ein. Wir zeigen unsere Solidarität mit der Ukraine“, betont SPD-Vorsitzender Florian Obst. Die Aggression müsse sofort enden und die staatliche Souveränität der Ukraine wiederhergestellt werden.

FDP-Vorsitzender Michael Seibt: „Wir verurteilen den brutalen Angriff Russlands auf die souveräne und demokratische Ukraine auf das Schärfste. Der russische Einmarsch muss schnellstmöglich beendet werden! Wir Freie Demokraten stehen unmissverständlich und solidarisch an der Seite der Ukraine und der Menschen dort.“ Mit der Mahnwache soll ein Zeichen gesetzt werden.

Hilfsaktion

Das Spendenkonto für das ökumenische Beregovo-Hilfsprojekt lautet: DE 32505922000108534969 BIC GENODE51DRE Stichwort: Beregovo

Von Holger Klemm

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