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Neu-Isenburg: Augen auf im Wald

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Astbruch gehört ganzjährig zu den natürlichen Gefahren des Waldes: Forstamtsleiter Melvin Mika und Revierleiter Andreas Keller begutachten beim Rundgang auch Baumkronen geschädigter Bäume.
Astbruch gehört ganzjährig zu den natürlichen Gefahren des Waldes: Forstamtsleiter Melvin Mika und Revierleiter Andreas Keller begutachten beim Rundgang auch Baumkronen geschädigter Bäume. © postl

Revierförster Andreas Keller fährt nun mit noch schärferem kontrollierenden Blick in die Baumkronen durch den Wald südlich von Neu-Isenburg. Nachdem kürzlich eine Waldbesucherin im Bereich des Goetheturms im Frankfurter Stadtwald durch einen herabstürzenden Ast zu Tode gekommen ist, sind alle Försterinnen und Förster im Umkreis alarmiert.

Neu-Isenburg - „Rein rechtlich ist der zuständigen Forstbehörde wohl kein Vorwurf zu machen, dennoch steht die Frage im Raum, ob man dies nicht hätte verhindern könne – zumindest machen wir uns solche Gedanken“, betont Melvin Mika. Der Leiter des Forstamts Langen, das auch für den Wald südlich und östlich von Neu-Isenburg verantwortlich ist, hat alle seine Revierleiterinnen und Revierleiter angewiesen, mit besonders „offenen Augen“ zumindest die in der Nähe von Wegen stehenden Bäume zu beobachten. „Wir haben nur an öffentlichen Verkehrswegen eine Verkehrssicherungspflicht, im Wald ist dies einfach nicht zu leisten“, betont Melvin Mika. Weil er darauf hinweisen und Spaziergänger dafür sensibilisieren möchte, dass auch in den Wäldern im Stadt- und Landkreis Offenbach Gefahren durch Astbruch existieren, hat der Forstamtsleiter das Pressegespräch samt Rundgang initiiert.

Kaum hat Andreas Keller die zweite Wegekreuzung passiert, sieht er auch schon ein Problem. „Dort liegt wieder ein Ast, der war gestern noch nicht da“, zeigt der Revierleiter auf einen völlig dürren Ast, aber auch auf einen einer Rotbuche, an dem noch die Blätter hängen – beide liegen quer über den Waldweg. Der Revierleiter und sein Chef Melvin Mika steigen aus und legen die Äste an der Stelle zur Seite.

Und ihr Blick geht nach oben in die Baumkronen. „Das ist in diesem Jahr ganz ungewöhnlich, es brechen sogar Buchenäste mit noch grünen Blättern ab“, berichtet Keller von einem Phänomen. Den Grund sieht der Förster im zurückliegenden Sommer, der nicht nur eine extrem lange Hitzeperiode hatte, sondern auch eine extrem lange Trockenperiode.

„Gerade die Trockenperiode hat große Auswirkungen auf den Zustand der noch gesunden Bäume, die sind innerlich ziemlich ausgetrocknet und das Holz dadurch spröde – so was habe ich vorher noch nie erlebt“, erklärt Andreas Keller.

So wie der Mensch unter Stressbedingungen leidet, so leiden auch die Bäume. „Trockenheit und Hitze sind für die Bäume extremer Stress, dies gefährdet ihre Vitalität und sie werden anfälliger für Schädlinge“, erklärt Mika. Die Rotbuchen seien extrem anfällig für den Befall durch den Brandkrustenkrebs, die Kiefern für den Befall des Diplodia-Pilzes. „Bei der Buche reißt die Rinde auf, dann ist es aber auch schon zu spät. Die dürren Kronen sind der letzte Beweis für das Absterben – und das geht rasend schnell“, weiß Keller. Der Diplodia-Pilz befällt die Triebspitzen der Kiefern. „Zuerst werden die Kronen bräunlich, dann werden sie lichter – und wenn dann noch ein weiteres Stressjahr folgt, ist der Baum tot“, so der Revierförster.

Damit beginnt ein Kalamitäten-Kreislauf, dessen Folgen noch nicht absehbar sind. „Wir müssen die geschädigten Bäume aus dem Bestand nehmen, damit sich die Krankheiten nicht noch schneller verbreiten – aber für das geschädigte Holz gibt es freilich viel geringere Erlöse“, erklärt Mika.

Für Revierleiter Keller gab es auch Stress, denn er musste die nun vorzeitig zu erntenden Bäume markieren, damit diese demnächst von der „Erntekolonne“ entnommen werden. „Ich denke, so an die 600 Bäume habe ich wohl markiert“, so Keller. Tiefer im Waldbestand stehende „absterbende“ Bäume will er aber auch bewusst stehen lassen, denn diese bieten einer großen Waldgesellschaft entsprechenden Unterschlupf. Die „Erntekolonne“ ist bestellt und Keller erwartet diese noch im Dezember. „Da es nur eine punktuelle Entnahme von Bäumen ist, werden wir hier keinen Harvester (Vollerntemaschine) einsetzen, sondern es wird mit der Motorsäge gearbeitet.“ Bis Ende Februar soll die Aktion im Wald zwischen Neu-Isenburg, Sprendlingen und Buchschlag dann abgeschlossen sein.

Aufgrund des labilen Zustandes vieler Bäume im stark von Besuchern und Radlern frequentierten Wald bittet Melvin Mika um ganz besondere Aufmerksamkeit. „Ganz wichtig ist, den Blick immer auch mal nach oben zu richten“, betont der Forstamtsleiter. Manchmal reiche schon ein kleiner Auslöser, um einen kleinen Ast abzubrechen, dieser fällt auf einer größeren – und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

„Jeder soll gerne in unseren Wald kommen, doch der Wald ist kein TÜV-zertifizierte Spielplatz – und kann es auch nicht sein“, bittet der Forstamtsleiter alle Waldbesucher, die real existierenden Gefahren nicht zu unterschätzen. „Jeder Mensch, der in unserem Wald zu Schaden kommt, egal ob wir dafür zur Rechenschaft gezogen werden können oder nicht, bringt für uns Gewissensbisse mit sich“, gibt Mika offen zu. So appelliert der Forstamtsleiter an alle, besonders umsichtig zu sein – und bei den jetzt aufkommenden Herbststürmen den Wald gänzlich zu meiden.

Von Leo F. Postl

Viel zu tun: Melvin Mika (vorne) und Andreas Keller räumen auf einen Waldweg gefallene Äste weg.
Viel zu tun: Melvin Mika (vorne) und Andreas Keller räumen auf einen Waldweg gefallene Äste weg. © postl

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