Neu-Isenburg: Bewegende Geschichte einer Ukrainerin

„Jetzt beginnt ein neues Kapitel in meinem Leben“, sagt Iryna Ushakova. Am Montag tritt die 48 Jahre alte Frau, die in Neu-Isenburg wohnt, ihre neue Stelle als Pflegerin in einem Frankfurter Seniorenheim an. Doch der Weg dorthin war alles andere als leicht. Iryna Ushakova ist Ukrainerin. Sie musste im vergangenen Jahr aus ihrer Heimatstadt Charkiw fliehen, musste alles zurücklassen: ihre Wohnung, ihre Freunde, ihre Familie.
Neu-Isenburg - Am 24. Februar 2022 sind russische Truppen in die Ukraine einmarschiert. „Mich rief nachts um 4 Uhr ein Freund an und sagte, dass die Russen Städte bombardieren“, erzählt Ushakova. Sofort verließ sie ihre Wohnung, suchte zusammen mit ihren Nachbarn Schutz im Luftschutzkeller in ihrem Haus. „Dort blieben wir Tag und Nacht“, sagt die Ukrainerin. „Wir konnten nicht raus, nicht an die frische Luft.“ Anfang März sei sie dann mit einer befreundeten Familie im Auto nach Polen geflohen – nur mit einem kleinen Rucksack und den wichtigsten Dokumenten im Gepäck.
Zunächst kam Ushakova bei ihrem 21 Jahre alten Sohn unter, der an der Universität in Lodz Maschinenbau studiert. Doch es zog sie weiter Richtung Westen. Am 20. März erreichte sie Deutschland, wurde hier zunächst von einer jungen Familie mit Baby in der Wetterau aufgenommen, lebte bei ihnen viereinhalb Monate lang.
„Ich war ihr zweites Baby“, sagt Ushakova. Sie hätten sie mit Rat und Tat unterstützt, hätten sie zu Ämtern begleitet, ihr Kleidung organisiert. Während Ushakova über die Familie spricht, steigen ihr die Tränen in die Augen. „Ich habe keine Worte dafür, wie dankbar ich ihnen bin“, sagt sie. Sie seien zu ihrer Familie geworden. „Sie sind meine Helden mit einem großen Herzen.“
Mittlerweile wohnt Iryna Ushakova aber nicht mehr in der Wetterau, sondern in Neu-Isenburg. In einer eigenen Wohnung. Sie wollte wieder auf eigenen Beinen stehen, arbeiten, Geld verdienen, aber auch: „der Gesellschaft etwas zurückgeben“, wie die Ukrainerin sagt. Sie sei der Ansicht, dass sich die Geflüchteten in Deutschland integrieren und arbeiten müssen. „Je schneller, desto besser.“ Zumal Herumsitzen und Nichtstun nicht Ushakovas Gemüt entspricht. Nur wenige Wochen nach ihrer Flucht hat die 48-Jährige im Internet recherchiert, hat nach Sprachkursen und Stellenanzeigen gesucht – bis sie auf eine Anzeige des Personaldienstleisters „Talent Orange“ stieß, der gezielt ausgebildete Pflegekräfte aus der Ukraine für einen siebenmonatigen Deutsch-Intensivkurs suchte, inklusive der Vermittlung einer Arbeitsstelle nach erfolgreicher Sprachprüfung.
Normalerweise rekrutiert „Talent Orange“ pro Jahr etwa 400 bis 500 Pflegekräfte aus dem Ausland. Sie erhalten ein Vollzeit-Stipendium, um sich auf die Deutsch-Sprachprüfung vorzubereiten. Die Mitarbeiter kümmern sich um Visa, Arbeitserlaubnis, die Einreise nach Deutschland, die Wohnungssuche und einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
Seit Herbst 2020 gibt es in Neu-Isenburg den „Talent Orange Campus“, eine eigene Sprachschule, eine Pflegeschule und ein Studierenden-Wohnheim – alles unter einem Dach.
„Um ein neues Leben in Deutschland zu beginnen, war das genau das Richtige für mich“, sagt Ushakova. Sie ist gelernte Krankenpflegerin, hat viele Jahre in einem Krankenhaus in Charkiw gearbeitet, hat nebenher noch Wirtschaft und Management studiert. Nach ihrer Bewerbung bei „Talent Orange“ und einem Gespräch ging dann alles ganz schnell: Die Ukrainerin wurde genommen und hatte in den folgenden Monaten jeden Tag Unterricht. Die deutsche Grammatik sei ihr am schwersten gefallen. „Ich habe nur noch gelernt, Tag und Nacht, hatte keine Freizeit mehr“, erzählt die Krankenpflegerin.
Doch es hat sich gelohnt: Kurz vor Weihnachten hat die Ukrainerin die B2-Sprachprüfung abgelegt – als Beste ihres Kurses. Am Montag fängt sie nur zehn Monate nach ihrer Flucht als Pflegerin im Seniorenheim der Gesellschaft für Dienste im Alter (GDA) am Zoo als Pflegerin an. „Ich bin froh, wieder in meinem Beruf arbeiten zu können“, sagt Ushakova. „Als ich in Not war, haben mir immer andere Menschen geholfen. Jetzt kann ich mich endlich revanchieren.“
Tilman Frank, Geschäftsführer der Talent Orange GmbH, ist voll des Lobes. „Wir sind sehr froh, dass Irina den schwierigen Weg mit uns gegangen ist. Es ist beeindruckend, wie schnell und gut sie Deutsch gelernt hat. Irina ist ein wunderbares Beispiel, wie aus Trauer und Verzweiflung über einen sinnlosen Krieg Hoffnung für einen wertvollen, sinnstiftenden Berufsschritt entstehen kann.“
Von Julia Lorenz