Sie ist immer erschöpft: Neu-Isenburgerin kämpft gegen tückische Krankheit

Neu-Isenburg – Haare kämmen, duschen, Zähne putzen – für jeden von uns ist das ein tägliches Ritual. Für die 39 Jahre alte Melanie Schickedanz aus Neu-Isenburg sind das schon die größten Hürden ihres alltäglichen Lebens. Sie leidet unter Myalgischer Enzephalomyelitis (ME). Von Nicole Jost
Diese schwere neuroimmunologische Erkrankung führt zu einer chronischen Erschöpfung, die im schlimmsten Fall, wie bei der jungen Isenburgerin, ein normales Leben unmöglich macht. Bei Schickedanz ist die Erschöpfung so groß, dass sie inzwischen seit 2010 bettlägerig ist. Nur mit sehr viel Mühe kann sie ins Bad laufen. An einem guten Tag ist sie dazu in der Lage, ein bisschen zu lesen, selbst beim Fernsehschauen kommt sie an ihre Belastungsgrenze. „Besuch ist für mich zu anstrengend, telefonieren ist mir seit Jahren nicht mehr möglich“, erklärt Schickedanz via E-Mail. Leichter als Sprechen fällt ihr die Kommunikation über das Tablet. Das geht langsam, aber es geht.
Leidensweg ist unfassbar
Der Leidensweg der Enddreißigerin ist unfassbar: Nach einer Tinitus-Diagnose und einer darauffolgenden Infusion, während der sie sich schon „schlecht und eigenartig“ fühlte, hatte sie 2004 die ersten Symptome der schrecklichen Krankheit. Nach einem hohen Fieberschub ließen ihre Kräfte immer mehr nach. Sie zog von Arzt zu Arzt und musste sich Ungeheuerliches anhören. Sie bilde sich das alles nur ein, sei faul – bis hin zu sie brauche „einen Mann, damit sie ein ordentliches Sexualleben hätte“, berichtet sie von Vorwürfen, die sie sich von Medizinern anhören musste. 2008 ist die Diagnose dank einiger selbst finanzierter ME-relevanter Bluttests klar: Sie leidet an Myalgischer Enzephalomyelitis. Im ersten Moment sei sie erleichtert gewesen, dass sie sich ihre Krankheit eben nicht einbilde und es damit zumindest mal eine Diagnose gab. Erst als sie realisiert, was diese bedeutet, ist die Ernüchterung groß. ME ist nicht heilbar. Und die Vorurteile anderer Menschen aufgrund mangelnder Aufklärung sind riesig.
Die wenige Kraft, die Schickedanz hat, setzt sie dafür ein, Menschen über die Krankheit zu informieren, sich und andere Betroffene mit den jüngsten Studien auf dem Laufenden zu halten und sich mit Mit-Patienten zu vernetzen. Sie wünscht sich eine Aufklärungskampagne von großem Ausmaß. Solange es die nicht gibt, veröffentlicht sie immer wieder Artikel in ihrem Web-Blog (www.huffingtonpost.de/melanie-schickedanz) und in Zeitschriften.
Post an Ex-Gesundheitsminister Stefan Grüttner
Auch die Politik versucht die 39-Jährige zum Handeln zu bewegen, indem sie mit ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit geht und Minister persönlich anschreibt. Hessens ehemaliger Gesundheitsminister Stefan Grüttner hat Post von Schickedanz bekommen. Mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte sie via Facebook persönlichen Kontakt, hat einen Brief von ihm bekommen und hat ihn mit Infomaterial zur tückischen Krankheit versorgt.
Ihre Mutter, die zu weiten Teilen die Versorgung übernommen hat, ist auch von ME betroffen. Ein Jahr nach ihrer Tochter erhielt sie die Diagnose. Die Krankheit verlief in nicht ganz so schlimmer Form, aber in den vergangenen Monaten hat sich ihr Zustand deutlich verschlechtert. Ein bei der Mutter notwendig gewordener Krankenhausaufenthalt bringt Melanie Schickedanz jetzt dazu, sich erneut an Jens Spahn zu wenden. Neben den unfassbaren Zuständen auf der Station inklusive Kot-Gestank wegen mit Windeln überfüllter Mülleimer im Krankenzimmer sei man in der Klinik kein bisschen auf die besondere Erkrankung ihrer Mutter eingegangen.
Eine stationäre Behandlung ME-Betroffener sei eine besondere Herausforderung, weil die Unruhe, das Licht, der Alltag in einer Klinik eigentlich viel zu anstrengend für einen solchen Patienten seien und die Symptome extrem verschlimmern. „Darauf angesprochen, wurde die Existenz der Erkrankung vom Qualitätsmanagement des Lehrkrankenhauses angezweifelt“, schreibt Schickedanz. Sie appelliert an den Minister, seinen Auftrag ernst zu nehmen. ME-Patienten seien der Situation in den Krankenhäusern hilflos ausgeliefert. Sie wünsche sich mehr Aufklärung über die Krankheit in Krankenhäusern, bei Ärzten und der Bevölkerung.
Keine Aussicht auf Heilung
ME steht für „Myalgische Enzephalomyelitis“. Bereits seit 1969 ist ME als Krankheit von der WHO klassifiziert. Die Symptome sind für die Patienten sehr belastend: unbeschreibliche körperliche Schwäche, ein schweres Krankheitsgefühl sowie die Zustandsverschlechterung nach körperlicher und geistiger Anstrengung. Dazu kommen Schmerzen am ganzen Körper, grippale Syptome wie Gliederschmerzen, Halsentzündungen, allgemeine Infektanfälligkeit oder gar Herzprobleme. Nach Schätzung der Deutschen Gesellschaft für ME gibt es in Deutschland rund 240.000 Betroffene. Ein Viertel aller Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. Schätzungsweise über 60 Prozent sind arbeitsunfähig. Bisher gibt es keine Heilung.
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