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Neu-Isenburg: Renan Demirkan wirbt bei Sofagespräch für Akzeptanz

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Von: Stefan Mangold

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Vor vollem Plenarsaal: Renan Demirkan (Mitte) im Gespräch mit Anna-Katharina Honecker und Semra Kanisicak, Geschäftsführerin des Kreisausländerbeirats.
Vor vollem Plenarsaal: Renan Demirkan (Mitte) im Gespräch mit Anna-Katharina Honecker und Semra Kanisicak, Geschäftsführerin des Kreisausländerbeirats. © mangold

Zum Finale der Neu-Isenburger Wochen der Toleranz und Mitmenschlichkeit, die unter der Überschrift „Heimat – ein Stückchen Zuhause“ standen, sprach zum Sofagespräch im Rathaus die Schauspielerin und Buchautorin Renan Demirkan über Zugehörigkeiten, Heimatgefühle und den Toleranzbegriff, den sie mit gestochen scharfer Sprachkritik auseinanderpflückte.

Neu-Isenburg - Christina Wagner, Schirmherrin der Veranstaltung, hat Mut mit ihrer Ankündigung, im folgendem Gespräch gehe es auch „um die Vorzeigetürkin“. Natürlich versteht die Stadtverordnetenvorsteherin den Ausdruck als Zitat, meint das Etikett, mit dem voneinander abschreibende Journalisten die bekannte Schauspielerin Renan Demirkan vor allem in den Anfangsjahren ihrer Karriere beschrieben. Aber in Zeiten der Dauerempörung und des Willens zum Missverständnis lässt sich nachvollziehen, warum Gene Hagelstein erklärt, „mir stockte eben erst mal der Atem“. Der Bürgermeister erzählt dann von einem schiefen Lob, das ihm selbst einmal galt, „Gene, Du wirkst gar nicht so schwul“.

Anna-Katharina Honecker vom städtischen Integrationsbüro und Semra Kanisicak, Geschäftsführerin des Kreisausländerbeirats Offenbach, befragen den prominenten Gast. Demirkan hatte bekanntlich mit ihrem autobiografischen Roman „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“, in dem sie schildert wie es ist, eine neue Heimat zu finden, die Stadt zu Motto und Bildmotiv für die diesjährigen Wochen der Toleranz und Mitmenschlichkeit inspiriert. Er freue sich, die Autorin nun persönlich begrüßen zu dürfen und mit ihr über das Gefühl von „Zuhause im Dazwischen“ zu diskutieren, so Hagelstein.

Renan Demirkan erzählt von ihrem Vater, den es mit der Familie nach Deutschland zog, als Ingenieur beim U-Bahn-Bau. Renan war damals sieben Jahre alt. Zu Hause herrschte eine bildungsbürgerliche Atmosphäre.

Der Vater schwärmte für Beethoven, „in den Regalen standen 5000 Bücher“. Die Erinnerungen an das Land, in dem sie die ersten Jahre lebte, haften bis heute, „ich verließ die Sonnenuntergänge und die Mittagshitze“.

In Deutschland habe sie so gar nichts mit dem Satz anfangen können, den sie im jugendlichen Jargon zitiert: „Du bist Türkin.“ Faktisch sei das falsch, „denn ich bin Tscherkessin, ein Volk mit eigener Kultur und Sprache, in dem Bildung und Unabhängigkeit viel zählen“.

Demirkan studierte erst Politik und bestand dann die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Seit 1985 der Schimanski-Tatort „Zahn um Zahn“ im Fernseher lief, in dem sie als Journalistin Ulli zu sehen war, gilt die heute 67-Jährige als Person des öffentlichen Lebens.

Sprache mittels Doppelpunkten und Sternchen zu verändern heißt, Melos und Rhythmus zu planieren. Die Sprachkritik von Demirkan bewegt sich auf einem ganz anderen Niveau. Die Schriftstellerin seziert den Toleranzbegriff. Der komme von „tolerare“, „man ist bereit, den anderen zu ertragen, aber nicht zu akzeptieren“. Was bedeute, „es gibt kein Miteinander, sondern die Mehrheit lässt sich herab, die Minderheit zu dulden“. Auf Nachfrage einer Frau aus dem Publikum, wie sie die Neu-Isenburger Tage nennen würde, fallen Demirkan drei Optionen ein: „Die Woche des Miteinanders, der friedlichen Koexistenz, der Akzeptanz.“

Den Begriff Heimat interpretiert die Frau nicht statisch. Heimat sei für sie dort, wo es ein Theater, ein Kino gebe, „mein zu Hause liegt aber in Köln“. In Deutschland beobachte sie eine latente Islamophobie, die lange zurückreiche. Der damalige CDU-Innenminister Gerhard Schröder habe sich schon 1961 ähnlich ausgedrückt, als es um die Anwerbung türkischer Gastarbeiter ging, „der Islam passt nicht zu uns“.

Die Programmatik islamischer Fundamentalisten wertet sie als rassistisch und frauenfeindlich, „das sind Vollpfosten, ich könnte kotzen im Strahl“. Sie kämpfe aber gegen Kopftuchverbote. Ihre Mutter habe immer eins getragen, wenn sie im Koran las. „Von den Muslimen habe ich die Liebe gelernt, von den Christen das Handeln, von den Juden das Denken“, beschreibt Demirkan den Einfluss der abrahamitischen Religionen auf sie.

Aus dem Publikum meldet sich eine Frau, auf die jeder Gottesglaube unplausibel wirkt, „wo stehen jene in der Gesellschaft, die von diesem ganzen Religionsgebaren überhaupt nichts halten?“ Die hätten selbstverständlich ebenfalls ihren Platz. Demirkan sieht in der Religion nur einen Vorwand, andere nicht zu akzeptieren.

Die Rechten seien in Europa auf dem Vormarsch. In Deutschland sollten alle Alarmglocken schrillen, wenn sich jene wieder positionierten, „die Frauen das Recht absprechen, über den eigenen Körper zu entscheiden. Dann müssen alle, auch die Männer, auf die Straße gehen“.

Ausstellung

Zum Abschluss der Toleranzwochen ist noch bis Freitag (9.) die Ausstellung „DaSein“ im Foyer des Rathauses zu sehen. Skizziert werden die Ankommensprozesse von Menschen, die nach dem Verlust ihrer Heimat den Versuch einer Wiedergewinnung von Heimat in Neu-Isenburg wagen.

Von Stefan Mangold

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