1. Startseite
  2. Region
  3. Neu-Isenburg

Neu-Isenburger Bürgermeister setzt auf Teamgeist

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Barbara Hoven

Kommentare

Bürgermeister Gene Hagelstein in seinem Büro im Rathaus: Dort hat er einige persönliche Dinge untergebracht, die ihm wichtig sind.
Bürgermeister Gene Hagelstein in seinem Büro im Rathaus: Dort hat er einige persönliche Dinge untergebracht, die ihm wichtig sind. © hov

Seit 100 Tagen ist der neue Neu-Isenburger Bürgermeister Gene Hagelstein (SPD) nun bereits im Amt. Im Interview spricht er über den Start im Rathaus, die Herausforderungen und die nächsten Vorhaben.

Herr Hagelstein, wie haben Sie Ihre Zeit als Bürgermeister bisher erlebt? Ist es so, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Eigentlich war die Vorstellung eher etwas abstrakt am Anfang. Denn ich war ja noch nicht Bürgermeister. Aber ich sag mal so: Ich habe hier ein echtes Willkommen gehabt in der Stadtverwaltung, das sind hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen ich sehr schnell auch in ein gutes Arbeitsverhältnis gekommen bin. Hochkompetent. Ich bringe da immer das Beispiel: Ich komme mit 10000 Ideen rein und dann bringt man mir schonend bei, warum 9990 davon nicht so gut sind. Aber wir haben dann zehn Ideen auf dem Tisch, die realisierbar sind. Und so sollte es auch sein. Denn ich bringe zwar Ideen mit, aber die Fachkompetenz, die liegt dann natürlich vor Ort in den Büros bei den Sachbearbeitungen. Ich kann jedenfalls sagen: Ich habe es mir toll vorgestellt, aber es ist noch viel schöner.

Damit haben Sie unsere nächste Frage praktisch schon mit beantwortet: Wie sind Sie aufgenommen worden, wie läuft die Zusammenarbeit?

Das läuft wirklich hervorragend. Natürlich war es am Anfang so: Jetzt kommt der Neue, wie wird das wohl? Aber ich bin eben ein Teamplayer, das kommt aus meiner Zeit als Mitarbeiter in der chemischen Industrie. Egal, in welchem Beruf ich war – es kommt immer auf den Teamgeist an. Klar sind die Rollen verteilt und es ist auch klar, wer den Hut aufhat. Aber ich lege unglaublich viel Wert darauf, dass Menschen aufgrund ihrer Kompetenz und aufgrund ihres Einsatzes ernst genommen werden. Zuhören, zusammenarbeiten. Das ist das Zentrale für mich.

Was war in diesen gut drei Monaten die bisher größte Herausforderung für Sie?

Neben den ohnehin bekannten großen Herausforderungen – wie dem Stadtumbau – war ein absoluter Schlag das Feuer in der Alicestraße 31. Ich war an diesem Tag in unserer Partnerstadt Andrézieux-Bouthéon. Da ist es natürlich unglaublich schwierig zu agieren. Ich hätte ja kaum etwas machen können. Da habe ich dann gesehen, wie gut die Zusammenarbeit hier im Magistrat läuft, weil der Kollege Stefan Schmitt sofort da war. Und wie gut die Verwaltung funktioniert, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da waren. Es ist auch ein gutes Zeichen, dass mittlerweile die meisten Bewohnerinnen und Bewohner wieder zurück im Haus sind. Es gab sehr viele Sitzungen, sehr viele Absprachen mit der Gewobau und den verschiedenen Trägern, das ist alles von Seiten der Gewobau hervorragend organisiert worden, da wurde tolle Arbeit geleistet. Es ist im Übrigen nicht einfach für die Betroffenen – jetzt abgesehen davon, dass deren Wohnungen lange Zeit nicht bewohnbar waren, sondern auch dieses Fremdbestimmte, wenn ich plötzlich nicht mehr über mein Leben selber entscheiden kann, weil ich in einem Hotel sitze oder anderweitig untergebracht bin. Von daher habe ich größtes Verständnis dafür gehabt, dass die Leute auch mal ungehalten waren. Deswegen habe ich aber auch auf Vieles da nicht entsprechend rechtfertigend reagiert. Weil: Da musste Dampf abgelassen werden, und das war völlig in Ordnung.

Worüber haben Sie sich besonders geärgert?

Also, mein Vorzimmer ist jetzt seit drei Monaten dabei zu versuchen, dass wir in Wiesbaden die Genehmigung bekommen, den Arbeitstag von 24 auf 48 Stunden zu erweitern (lacht). Doch der Antrag ist immer noch nicht bearbeitet – und das ist wirklich unglaublich.

Worüber haben Sie sich am meisten gefreut?

Da gibt es viele Aspekte, ich komme viel mit Menschen zusammen und wir arbeiten gemeinsam im Team. Die Zusammenarbeit mit den Partnerstädten zum Beispiel, das hat mir unglaublich viel Freude gemacht. Andrézieux-Bouthéon und Veauche haben jetzt auch eine gemeinsame Arbeitsebene gefunden, damit Terminabsprachen funktionieren, das ist mir ganz wichtig, weil diese europäische Idee einfach für mich so zentral ist. Und ein besonderer Moment war für mich auch der Besuch bei der Brüder-Grimm-Schule anlässlich der Zeugnisübergabe an die Haupt- und Realschüler; da bin ich auch als ehemaliger BGS-Schüler natürlich doppelt stolz. Diese Jugendlichen haben es während einer der unfassbarsten Schulphasen, nämlich zwei Jahre unter Corona, geschafft, ihre Abschlüsse zu machen. Und da sind etliche Einser darunter, die haben das echt toll gewuppt. Gleiches gilt natürlich auch für die Abiturienten am Goethegymnasium.

Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an Sie sind hoch. Doch Sie haben ja keine Mehrheit im Parlament. Wie wollen Sie trotzdem eigene Akzente setzen und Ihnen wichtige Anliegen durchbringen?

Da sind wir ja jetzt schon dabei, das machen wir ja bereits. Also was den Stadtumbau betrifft, den nehme ich mal als Beispiel: Es gibt keinen sozialdemokratischen Bürgersteig.

Und das diplomatische Geschick, letztendlich die Interessen dieser Stadt zusammenzuführen, das funktioniert. Wenn ich jetzt hingehe und fange an, parteipolitisch zu werden, dann werde ich ein Problem haben – und dann wird das mit den Mehrheiten ein Problem werden. Das definitiv. Aber das mache ich ja nicht. Sondern es geht ja rein um Neu-Isenburger Interessen, rein um Neu-Isenburger Wohnungsbau, rein um den Neu-Isenburger Stadtumbau und das Kultur-und Bildungszentrum Hugenottenhalle, und das geht ja sowieso nur im Konsens. Da würde, auch wenn ich jetzt eine Stimme Mehrheit hätte, ich mich zwar durchsetzen können, aber das ist dann ja keine tragfähige Geschichte für die Zukunft. Also das war vorher ja schon nicht mein Stil als Stadtverordneter, da hab ich das ja auch schon nicht betrieben.

Und ja klar, es gibt Punkte, bei denen ich ein ganz anderes Tempo anschlagen würde, bei denen ich andere Vorstellungen haben, wenn es etwa den Stadtumbau betrifft. Ich habe etwa beim Thema Mobilität sicher eine forschere Vorstellung von Stadtumbau – ich weiß gar nicht, ob meine eigene Partei da immer mitmarschieren würde. Das ist halt der Fußgänger pur in mir. Aber wie soll eine Mobilitätswende funktionieren, wenn 51 Prozent dafür sind und 49 Prozent weiterhin auch für kürzeste Strecken mit dem Auto fahren müssen.

Ich denke, dass wir hier in Neu-Isenburg früher ein gutes Miteinander in der Stadtverordnetenversammlung hatten. Und ich habe das Gefühl, da sind wir auch wieder. Ich habe die Dezernate verteilt, wir haben alle miteinander geredet. Und jetzt sehe ich, dass es funktioniert. Das ist zumindest mein Eindruck.

Sind neue Projekte dazu gekommen, die sich für Sie erst durch die Einblicke in die Verwaltung der Stadt ergeben haben?

Ja, bei der Aufteilung ist mir deutlich geworden, wie dringend eine Neukonzeption in der Jugendarbeit war. Nicht, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier keine super Arbeit leisten – das machen die sehr wohl. Aber die Mittel, die müssen überprüft werden. Und das ist ja auch schon kolportiert worden, dass ich zum Beispiel beim Jugendzentrum Gravenbruch der Meinung bin, dass sich etwas tun muss. Dieses Haus stammt aus den 80ern und da hat sich seit den 80ern auch nicht mehr viel getan. Um da eine neue, gute Jugendarbeit auch wirklich gewährleisten zu können, muss die Stadt ihre Aufgaben machen. Und das heißt, auch räumlich müssen wir uns da anders aufstellen. Da gibt es verschiedene Ideen, die jetzt in der Diskussion sind, deswegen will ich da nicht zu viel vorgreifen. Aber Fakt ist, dass da bei der Jugendarbeit was getan werden muss. Es hat sich im Bürgermeisterwahlkampf meiner Meinung nach sehr deutlich gezeigt, dass Jugendliche das auch sehr stark gesagt haben. Und ich bin froh über das neue Kernteam des Jugendforums. Die haben eine klare Meinung – so etwas muss dann im demokratischen Prozess auch diskutiert werden. Also nur weil ich jugendlich bin, heißt das noch nicht, dass meine Idee umgesetzt wird. Aber ich merke einfach, dass da der Wunsch mitzugestalten auch bei den Jugendlichen viel stärker ist, als das früher wahrgenommen wurde. Und das kriegt ja auch über das Kernteam jetzt einen ganz anderen Schwung. Da freue ich mich einfach drauf. Aber das bedeutet, die gesamte Jugendarbeit müssen wir neu konzipieren.

Wie sieht Ihr Terminkalender aus? Hat der Bürgermeister noch Termine frei? Und wenn ja, haben Sie auch noch ein wenig private Freizeit? Oder sind Sie schon auf Monate ausgebucht?

Schwierig. Wenn man relativ sicher sein will, sind wir aktuell bei etwa 100 Tagen für einen Termin. Ansonsten muss immer geguckt werden, wo man es noch dazwischen knödelt; da fällt die Mittagspause auch schnell mal aus. Aber das ist einfach so, das kommt mit dem Job. Das muss klar sein: Wenn ein Problem da ist, dann muss der Bürgermeister raus. Und gerade jetzt in der Anfangsphase: Viele Vereine und Unternehmer kennen mich noch nicht, das heißt ich besuche nach und nach die Unternehmen hier. Dann ploppt natürlich auch immer mal ein Problem auf, das muss dann auch sofort gemacht werden. Und es gibt ja auch noch externe Termine. Also das ist zur Zeit nicht so leicht.

Es gibt ja auch sicher viele Erwartungen, die von allen Seiten auf „den Neuen“ zukommen...

Also bei den Erwartungen ist das einzige, was für mich irritierend ist: Eigentlich weiß jeder, wie Prozesse in Deutschland funktionieren. Und dass wir gewisse Zeit brauchen. Die Vorstellung, dass jetzt ein neuer Bürgermeister im Rathaus sitzt und deswegen eine Straße innerhalb von drei Monaten umgesetzt oder umgebaut wird, das geht natürlich so nicht. Wenn ich eine Idee habe, wie eine Straße umgestaltet werden kann, dann muss eine Stadtplanung neben den Kapazitäten, die sie braucht, die Bewertungen machen baurechtlicher und generell rechtlicher Natur, und dann muss das durch die Gremien und die Bürgerinnen und Bürger müssen beteiligt werden – und dann ist es irgendwann soweit. Aber da läuft nichts innerhalb von zwei oder drei Monaten. Da sind die Erwartungen teils irreal hoch. Und das sind Erwartungen, die ich leider enttäuschen muss. Ich kann sagen: Ich bringe Sachen in die Diskussion, ich bringe Sachen in die Gremien rein. Aber dann müssen eben bestimmte Wege eingehalten, Prozesse durchlaufen werden.

Und Sie sind nach wie vor ohne Auto und ohne Fahrrad unterwegs?

Nach wie vor: Ohne Auto, ohne Fahrrad. Alles, was irgendwie geht, wird zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt. Aber wenn Termine zu dicht liegen, dann muss ich das eben eintakten, teils nehmen mich Leute mit, mal nehme ich aber auch ein Taxi, wenn es gar nicht anders geht. Aber ansonsten: In der Stadt erreiche ich jeden Ort innerhalb von 20 Minuten zu Fuß. Und das zeigt mir noch klarer, wie überflüssig viele interne Autofahrten sind. Ich muss nicht zu einem Bäcker, zu dem ich in zehn Minuten laufen könnte, mit dem Auto fahren.

Und private Freizeit, bleibt da noch was?

Es ist schon extrem eingeschränkt momentan. Selbst ein Termin zum Abendessen mit der Familie ist derzeit schwer zu finden. Aber noch ist eben auch alles neu, alles im Umbruch – und viele Dinge nehmen einfach anfangs mehr Zeit in Anspruch, die sich später einspielen.

Welche Ziele haben Sie sich noch bis Ende des Jahres gesetzt? Was wollen Sie noch unbedingt voranbringen?

Das ist ja im Grunde alles in die Wege geleitet. Aber ganz wichtig sind für mich zwei Punkte, die mich ehrlich gesagt ein bisschen gestört haben, weil die unglaublich viel Kraft und Zeit kosten – und verfahrenstechnischer Natur einfach hängen geblieben sind. Das ist einmal der Marktplatz: Da will ich jetzt, sobald die Auswertung der Umfrage vorliegt, dass wir eine entsprechende Beschlussfassung in die Gremien reinbringen, um da endlich weiter zu kommen. Da gab es ja schon so ein paar Proteststimmen, weil bestimmte Vorschläge eben nicht in der Auswahl waren. Dazu kann ich nur sagen: Dieser Bürgermeister steht nicht über dem Gesetz. Und ich kann nur abstimmen lassen, was über die Stadtverordneten gelaufen ist – und wenn die einen Vorschlag rausgestrichen haben, haben sie ihn rausgestrichen. Da kann man stundenlang mit mir drüber diskutieren, daran wird sich nichts ändern. Ich habe jetzt eine Beschlussfassung vorliegen. Und wenn in einigen Jahren eine andere Politik eine andere Idee hat für die Marktplatzgestaltung, dann können die das gerne umsetzen. Aber das Wichtige jetzt ist: Der Marktplatz muss aufgeräumt und barrierefrei werden. Ich bin mit meiner Mutter erst kürzlich ein paar Mal in der Marktplatzgemeinde gewesen, die ist mit ihrem Rollator fast hingefallen. Alleine schon jeder Monat, den wir warten, ist einfach eine Unverschämtheit gegen die Leute. Das Ding gehört umgebaut; und ich will da jetzt endlich Ruhe reinbringen. Wir haben so viele Vorschläge auf dem Tisch, da werden wir mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren, über Möblierung und alles – aber das muss jetzt vorangehen. Das Thema schlepp ich nicht noch länger hin. Und das zweite ist die Tempo-30-Regelung auf der Frankfurter Straße. Da wurde ja schon viel Vorarbeit geleistet, aber es hing eben auch verfahrenstechnisch an Dingen. Aber jetzt ist es an der Zeit, es eben auch mal zum Punkt zu bringen.

Letzte Frage: Macht Ihnen Ihre Aufgabe Spaß? Hat sich Ihr Lebensgefühl verändert?

Mache ich irgendwie den Eindruck, dass es mir keinen Spaß machen würde (lacht)? Also: Es macht mir Riesen-Spaß. Ja, es ist sehr anstrengend, aber es ist auch gleichzeitig eine so tolle Aufgabe. Ich denke, man merkt mir das auch einfach an, wie viel Freude es mir macht, für die Bürgerinnen und Bürger Neu-Isenburgs zu arbeiten.

Zur Person

Gene Hagelstein, 54, ist seit 44 Jahren der erste SPD-Bürgermeister, der Neu-Isenburg regiert. Er beerbte Herbert Hunkel (parteilos), der aus Altersgründen nicht mehr kandidierte. Hagelstein trat am 11. April sein Amt an, nachdem er sich in der Stichwahl am 10. Oktober 2021 mit 50,24 Prozent der Stimmen gegen Stefan Schmitt (CDU, 49,76 Prozent) durchgesetzt hatte. Der begeisterte Fußgänger und Fotograf Gene Hagelstein lebt seit 1976 in

Neu-Isenburg. Vor seinem Amtsantritt im Rathaus arbeitete er als Teamleiter bei einem Unternehmen für Spezialchemikalien der Textil- und Papierbranche und war mehr als 20 Jahre lang Mitglied des Stadtparlaments, zuletzt als SPD-Fraktionschef.

Das Gespräch führten

Holger Klemm und Barbara Hoven

Auch interessant

Kommentare