Neu-Isenburgs Beziehung mit Italien braucht neuen Schwung

Vor zehn Jahren haben Neu-Isenburg und Chiusi in der Toskana offiziell eine Städtepartnerschaft besiegelt. So richtig in Schwung gekommen ist die Beziehung zu den Menschen in Italien allerdings nicht. Ein neu gegründetes Komitee soll das nun ändern.
Neu-Isenburg/Chiusi – Allein die Größe oder der Bekanntheitsgrad einer Stadt sind keine Garantie für eine funktionierende Partnerschaft. Auch ungleiche Schwestern können Freundinnen werden, wenn das Interesse an Neuem, Unbekannten vorhanden ist und sich der Umgang miteinander tolerant und respektvoll gestaltet. Begegnungen der Bürger aus zwei ganz unterschiedlichen Kommunen können Vorurteile abbauen, den Alltag der Menschen erlebbar machen und das Wir-Gefühl in Europa stärken – so die Theorie der Städtepartnerschaften.
In der Praxis sieht die Beziehung zwischen Neu-Isenburg und Chiusi nach zehn Jahren allerdings noch nicht so aus. Bisher gab es ein Jugendtreffen und einen Austausch mit der Goetheschule. Teenager aus Chiusi kamen nach Neu-Isenburg. Außerdem hatten sich im Herbst 2013 knapp 20 Mitglieder des Radteams einer sportlichen Herausforderung gestellt und sind in die Toskana gefahren. Auch der Verein für Geschichte, Heimatpflege und Kultur (GHK) startete zu einer Studienreise in die Partnerstadt. Zwei junge Italienerinnen absolvierten ein Praktikum in Neu-Isenburg – so die kurze Bilanz der zehnjährigen Verbindung.
Liegt es an der Entfernung von knapp 1100 Kilometern oder daran, dass es vielen schwer fällt, Deutsch zu lernen? So oder so. Gianluca Sonnini, neu gewählter Bürgermeister des historischen Ortes, möchte die sogenannte Gemellaggio lebendiger machen. Er hat eine neue AG installiert, die den Austausch von Schulklassen und Vereinen organisieren soll.
Neu-Isenburg hat viel Erfahrung mit Städtepartnerschaften. Zu sechs Kommunen in fünf Ländern gibt es Beziehungen, die – je nach Distanz und Sprache – ganz unterschiedlich stark gelebt werden. Vereine, Verbände, Volkshochschulen sind Vorreiterinnen bei den Städtepartnerschaften. Sie bringen Menschen zusammen. Mit Chiusi ist das bisher nicht so recht gelungen, das sieht auch Ute Marschalk vom Förderverein Städtepartnerschaften und Europäische Begegnungen Neu-Isenburg so. „Wir wollen die Beziehungen ausbauen, in Chiusi tut sich gerade was, das macht Hoffnung.“ Viele Bürger in Neu-Isenburg sind mit Italien familiär verwurzelt. Es gibt nach Angaben des Einwohnermeldeamtes genau 982 Italiener in der Stadt. Sie sind nach der Türkei (1447) und Kroatien (1153) die drittgrößte Community.
Wieso fiel die Wahl auf die alte Etrusker-Stadt? Das hängt mit einem Netzwerk an befreundeten Kommunen zusammen. Einige Kommunalpolitiker hatten 2010 in Isenburgs französischer Partnerstadt Italiener aus Chiusi, das mit Andrézieux-Bouthéon verschwistert ist, kennengelernt. Maria Sator-Marx und ihr Mann Günther Marx, beide Stadtverordnete in der Fraktion der Grünen, machen seit Jahrzehnten in der Nähe von Chiusi Camping-Urlaub. Sie erhielten damals sozusagen den Auftrag, mehr Infos über das Städtchen zu sammeln, was schließlich zur Verschwisterung führte.
„Wir wollen die Verbindung zu Neu-Isenburg stärken. Ich habe ein neues Komitee gegründet und lasse prüfen, welche Vereine und Gruppen Interesse an Besuchen haben. Der europäische Gedanke lebt von der Begegnung der Menschen, das dürfen wir nicht vernachlässigen“, betont Bürgermeister Sonnini im historischen Rathaus bei einem Gespräch mit unserer Zeitung.
In der neuen Arbeitsgruppe Städtepartnerschaft werden Sonia Nasorri, Barbara Ramini und Simonetta Bardini federführend sein. Bardini, Deutschlehrerin im Ruhestand, die Neu-Isenburg bereits ein paarmal besucht hat, lobt die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen. Die Gastgeber seien ihr mit viel Aufmerksamkeit und Respekt begegnet. „Meine Freunde in Neu-Isenburg streiten sich immer, wer mich aufnehmen darf“, beschreibt sie lächelnd das große Interesse ihrer deutschen Gastgeber. Aufgefallen sei ihr in Neu-Isenburg, dass die viel gepredigte Ökumene der katholischen und evangelischen Kirchen auch tatsächlich gelebt werde und die Bürger mehr als in Italien an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt würden, so die Pädagogin.
Was könnte an Chiusi begeistern? „Die Stadt ist wie ein Freilichtmuseum und die Menschen sind sehr herzlich“, sagt Alt-Bürgermeister Herbert Hunkel. Das etruskische Museum in Chiusi wurde 1871 gegründet und 1901 in einem Gebäude in klassizistischem Stil untergebracht. Ferner gibt es das Kathedralmuseum, in dem Kunstgegenstände und Ölgemälde der ersten christlichen Jahrhunderte sowie aus dem hohen Mittelalter und der Moderne zu sehen sind.
Einen Besuch wert sind auch die Katakomben der Heiligen Katharina und der Heiligen Mustiola, die aus zwei getrennten unterirdischen Anlagen bestehen. Geschichten und Geschichte liegen in Chiusi oft unter der Erde. So ist es auch im Labyrinth des Porsenna, ein etwa 130 Meter langes unterirdisches Netz von Stollen. Dieses Dränage- und Wasserversorgungssystem besteht schon seit der Etruskerzeit und wurde unter der gesamten Stadt weiterentwickelt. Wer in das schmucke Städtchen reist, sollte sich auch den vier Kilometer von der Innenstadt gelegenen Chiusi-See ansehen, der für reichlich Fisch in der etruskischen Küche mit den köstlichen Weinen sorgt.
Doch Chiusi liegt auch im Schatten der bekannteren Nachbarstädte wie Assisi, Cetona oder Perugia, die im Sommer Tausende von Touristen anziehen, weil es dort mehr Gastronomie und Shopping-Möglichkeiten gibt.
Bürgermeister Gene Hagelstein (SPD) freut sich über die Nachricht zur Gründung eines Komitees. Er blickt zuversichtlich auf die Entwicklung der Partnerschaft und glaubt, „dass da jetzt neuer Schwung reinkommen wird, wenn es direkte Ansprechpartner gibt. Wie lebendig eine Städtepartnerschaft ist, liegt immer an den handelnden Personen“, sagt der Rathauschef. Hagelstein will alle Aktivitäten unterstützen, um die Verbindung zu reaktivieren. „Ich habe mir fest vorgenommen, nächstes Jahr nach Chiusi zu fahren – und ich hoffe, dass viele mitkommen.“ air
