Saxofonist Tony Lakatos erfüllt lang gehegten Fan-Wunsch

Als Tony Lakatos am 15. Oktober 2021 sein letztes Konzert mit der hr-Bigband spielte, in der er 28 Jahre lang gefeierter Solist war, frotzelten seine Kollegen, jetzt könnte er seinen Lebensabend ja „im Beverly Hills von Neu-Isenburg“ genießen. So wurde der Stadtteil Gravenbruch spaßeshalber immer mal genannt – und da lebt der Top-Saxofonist schon seit langer Zeit.
Neu-Isenburg - Aber ein Vollblutmusiker wie der gebürtige Ungar geht nicht in Rente, sondern ist im Unruhestand. Und schaut man sich allein den beeindruckenden Tourneeplan der ersten vier Monate des noch jungen Jahres an, begreift man sofort: Der Mann will nur spielen, ist zwischen Bilbao und seiner Heimatstadt Budapest ständig in ganz Europa unterwegs.
Wer so beschäftigt ist, konnte in all den Jahren dem größten Wunsch seiner Fans nicht nachkommen: ein neues Album zu produzieren. Dafür blieb keine Zeit. Dass das nun mit „Blue Chili“ auf dem Skip Records-Label erschienen ist, verdanken wir tatsächlich Corona. „Das ist wahrscheinlich der einzige positive Effekt der Pandemie für mich und wahrscheinlich für viele andere Musiker, dass wir uns mit Musik schreiben und mit Üben beschäftigen konnten“, erzählt Lakatos.
Acht Stücke – die seiner Meinung nach besten – hat er letztlich ausgesucht und mit seinem neuen, mit Alex Sipiagin (Trompete), Danny Grissett (Piano), Hans Glawischnig (Bass) und Gregory Hutchinson (Schlagzeug) international besetzten Quintett aufgenommen. Sie werden ihn auch auf der „Blue Chili“-Tournee begleiten.
Seit der Veröffentlichung eines Buches über ihn vom Frankfurter Autor Rainer Erd wissen wir dank des Titels, wie Lakatos nicht wahrgenommen werden möchte: „Sagt nur nicht Künstler zu mir“. Genauso wenig mag er, dass seine Interpretation von Jazz in irgendeine gängige Schublade gesteckt wird.
Und dennoch: Einen versteckten Hinweis zum Selbstverständnis gibt es im Namen der CD. „Der Schwerpunkt des Blue Chili-Projekts liegt im Blues“, gibt Lakatos unumwunden zu. „Alles hat einen bluesigen Charakter, und trotzdem spielen wir mit Feuer.“ Und man ahnt, was er gleich hinterher schiebt. „Wie Chili“, lacht er. „Wie die Leute meine Musik schließlich erleben sollen, kann ich gar nicht sagen. Sie sollen einfach mit offenen Ohren und offenem Geist zuhören und schauen, was passiert, und vielleicht wird sogar getanzt.“
Einzelne Stücke geben darüber hinaus doch offensichtliche Hinweise auf Inspirationsquellen. Eine berühmte Kopfbedeckung ziert die wunderschön gestaltete Plattenhülle, von Charles Mingus stammt der Klassiker „Goodbye Pork Pie Hat“ und der Modern Jazz-Ikone widmet Lakatos seine Komposition „Mingus Diggs“.
„Zoot Suits“ heißt eine andere Nummer. „Das sind die Gangsteranzüge der 20er- und 30er-Jahre“, erinnert der Tenor-Saxofonist, der auf „Blue Chili“ zudem auf der Altflöte zu hören ist, an Al Capone. „Die meisten Musiker, die hip sein wollten, haben sie getragen, auch Cab Calloway.“ Bei „Amla Noc“ hat Lakatos an Dizzy Gillespie gedacht. Und dann fällt „Eugen Choose The Shorter Way“ ins Auge. „In diesen knapp sieben Minuten sind drei kleine Zitate von verschiedenen Wayne-Shorter-Stücken versteckt“, verweist der 64-Jährige darauf, dass er das an dem Tag geschrieben hat, als er vom plötzlichen Tod des Jazzkeller-Chefs Eugen Hahn im Dezember 2020 erfuhr. Im Frankfurter Traditionsklub in der Kleinen Bockenheimer Straße 18 a tritt er nach wie vor regelmäßig auf, etwa mit der Tony Lakatos Organization und Jean-Yves Jung an der Orgel, das nächste Mal am 28. Januar.
CD-Release-Konzert
Sein „Blue Chili“-Release-Konzert am 26. Februar, 20 Uhr, spielt das Tony Lakatos Quintett im Rahmen der „Fabrik außer Haus“-Reihe in der imposanten Halle der ehemaligen Seilerei Reutlinger (Offenbacher Landstraße 190) in Sachsenhausen. Der Veranstaltungsort firmiert jetzt unter dem Namen Netzwerk Seilerei.
Von Detlef Kinsler
